"Warum hat es nicht geklappt?", steht ganz oben auf der Liste. Obwohl ich die Antwort schon weiß ("Das kann man nie genau sagen. Die Unreife der Eizellen könnte ein Indiz sein, aber es kann auch einen ganz anderen Grund haben."), werde ich die Frage trotzdem stellen. Quasi als Gesprächseröffnung. Eigentlich erhoffe ich mir von dem Termin heute eine Perspektive. Was kann man beim nächsten Versuch besser machen? Wie sah eigentlich das Spermiogramm von Noerd aus? Was hat die IMSI* gebracht? Was kann man tun, um die Eizellreife zu verbessern? Ich habe auch ein paar kritische Fragen im Gepäck, sowie: "Hätte man zu Beginn des Zyklus schon sehen können, dass sich an einem Eierstock keine Follikel bilden?" Und: "Hätte man zu diesem Zeitpunkt besser abgebrochen, um unseren Geldbeutel zu schonen?"
Ich fühle mich ein wenig wie vor einem wichtigen Geschäftstermin mit einem Lieferanten, von dem ich abhängig bin, der aber beim letzten Mal leider nicht die vereinbarte Ware geliefert hat. Nur fünf Minuten nach zwölf werden wir aufgerufen. Das ist Wartezimmer-Rekord. Im guten Sinne.
"Guten Tag, Herr Fruchtig. Guten Tag, Frau Fruchtig. Es tut mir leid wegen Montag. Es war einfach so viel los und ich wollte das Gespräch in Ruhe mit Ihnen führen." Klarer Punkt für ihn.
"Ich war selber enttäuscht, als ich das Befruchtungsergebnis gesehen habe. Nur drei Eizellen waren reif, eine davon ist bei der ICSI kaputt gegangen, und die zwei übrigen haben sich nicht befruchten lassen."
"Wie bitte?" denke ich, "Mein Kind ist bei der Injektion verreckt?" Punktabzug für's Labor!
"Ich schlage für den nächsten Versuch ein so genanntes "langes Protokoll" vor. So können wir vielleicht eine bessere Eizellreife erreichen. Außerdem sollten wir die Situation ganzheitlich betrachten. Haben Sie Stress, Frau Fruchtig?"
"Hm. Na, ja. Die negativen Schwangerschaftstests und die Enttäuschung sind Stress. Ansonsten bin ich ein eher entspannter Mensch." Punkt für mich?
"Vielleicht probieren Sie mal Traditionell Chinesische Medizin (TCM). Das entspannt den ganzen Körper und speziell die Eierstöcke. Entspannung ist wichtig für eine gute Durchblutung. Wenn die Eierstöcke gut durchblutet sind, wirken die Hormone besser." Definitiver Kostenpunkt für mich.
"Hätte man nicht vor der Punktion abbrechen müssen?" frage ich dann frei heraus?
"Bei zehn Eizellen bricht man nicht ab, Frau Fruchtig. Andere Frauen haben nur eine Eizelle pro Versuch."
Erst nach einer Stunde verlassen wir das Besprechungszimmer. Wir haben Antworten auf alle unsere Fragen bekommen. Der Arzt hat sich außergewöhnlich lange Zeit genommen. Ich bin innerlich vollends mit ihm versöhnt. Der nächste Versuch soll im April starten und zwar vor Zyklustag eins. Bereits einige Tage vor Eintreten der Regel will er meine körpereigenen Hormone unterdrücken. Warum habe ich nicht wirklich kapiert. Bis dahin sind es noch zwei Monate. So ganz nebenbei haben wir erfahren, dass das letzte Spermiogramm von Noerd, das für die ICSI automatisch angefertigt wird, außergewöhnlich gut war. Die Erlebnisse der nächsten Wochen werde ich daher nicht im Detail dokumentieren .. ;)
*IMSI = Intrazytoplasmatische Morphologisch Selektierte Spermien Injektion. Hierbei werden mittels 6500-facher Vergrößerung unter dem Mikroskop die besten Spermien für die ICSI ausgesucht. Der Spaß kostet pro befruchteter Eizelle ca. 200 €.