Freitag, 18. Februar 2011

Die Aussprache

Es ist punkt zwölf Uhr am Freitag Mittag. Mein Mann Noerd und ich verbringen die zweite Mittagspause in dieser Woche in der Kinderwunschklinik. Wir haben einen Termin mit unserem behandelnden Arzt, der leider am Montag nach dem traurigen Ergebnis keine Zeit für eine Besprechung hatte. Meine Wut auf den Arzt ist verschwunden. Seit Dienstag morgen denke ich wieder klarer. Es scheint wirklich war zu sein, dass das Gehirn in der Nacht die Gedanken sortiert und Erlebtes verarbeitet. Natürlich ist es nicht die Schuld des Arztes, dass ich noch nicht schwanger bin. Wenn man es mit fünf Tagen Abstand betrachtet, fällt mir außerdem kein Motiv ein, warum mein Arzt absichtlich ein schlechtes Behandlungsergebnis riskieren sollte. Noerd und ich versuchen nach vorne zu denken und haben uns für den Termin heute ein paar Fragen aufgeschrieben.

"Warum hat es nicht geklappt?", steht ganz oben auf der Liste. Obwohl ich die Antwort schon weiß ("Das kann man nie genau sagen. Die Unreife der Eizellen könnte ein Indiz sein, aber es kann auch einen ganz anderen Grund haben."), werde ich die Frage trotzdem stellen. Quasi als Gesprächseröffnung. Eigentlich erhoffe ich mir von dem Termin heute eine Perspektive. Was kann man beim nächsten Versuch besser machen? Wie sah eigentlich das Spermiogramm von Noerd aus? Was hat die IMSI* gebracht? Was kann man tun, um die Eizellreife zu verbessern? Ich habe auch ein paar kritische Fragen im Gepäck, sowie: "Hätte man zu Beginn des Zyklus schon sehen können, dass sich an einem Eierstock keine Follikel bilden?" Und: "Hätte man zu diesem Zeitpunkt besser abgebrochen, um unseren Geldbeutel zu schonen?"

Ich fühle mich ein wenig wie vor einem wichtigen Geschäftstermin mit einem Lieferanten, von dem ich abhängig bin, der aber beim letzten Mal leider nicht die vereinbarte Ware geliefert hat. Nur fünf Minuten nach zwölf werden wir aufgerufen. Das ist Wartezimmer-Rekord. Im guten Sinne.

Der Doc hat unsere Akte auf dem Tisch liegen. "Er hat sich vorbereitet!", denke ich. Punkt für ihn.
"Guten Tag, Herr Fruchtig. Guten Tag, Frau Fruchtig. Es tut mir leid wegen Montag. Es war einfach so viel los und ich wollte das Gespräch in Ruhe mit Ihnen führen." Klarer Punkt für ihn.
"Ich war selber enttäuscht, als ich das Befruchtungsergebnis gesehen habe. Nur drei Eizellen waren reif, eine davon ist bei der ICSI kaputt gegangen, und die zwei übrigen haben sich nicht befruchten lassen."
"Wie bitte?" denke ich, "Mein Kind ist bei der Injektion verreckt?" Punktabzug für's Labor!
"Aber die IMSI hat tolle Ergebnisse gebracht. Die Spermienqualität war vom Typ 1a." Punkt für Noerd.
"Ich schlage für den nächsten Versuch ein so genanntes "langes Protokoll" vor. So können wir vielleicht eine bessere Eizellreife erreichen. Außerdem sollten wir die Situation ganzheitlich betrachten. Haben Sie Stress, Frau Fruchtig?"
"Hm. Na, ja. Die negativen Schwangerschaftstests und die Enttäuschung sind Stress. Ansonsten bin ich ein eher entspannter Mensch." Punkt für mich?
"Vielleicht probieren Sie mal Traditionell Chinesische Medizin (TCM). Das entspannt den ganzen Körper und speziell die Eierstöcke. Entspannung ist wichtig für eine gute Durchblutung. Wenn die Eierstöcke gut durchblutet sind, wirken die Hormone besser." Definitiver Kostenpunkt für mich.
"Hätte man nicht vor der Punktion abbrechen müssen?" frage ich dann frei heraus?
"Bei zehn Eizellen bricht man nicht ab, Frau Fruchtig. Andere Frauen haben nur eine Eizelle pro Versuch."

Erst nach einer Stunde verlassen wir das Besprechungszimmer. Wir haben Antworten auf alle unsere Fragen bekommen. Der Arzt hat sich außergewöhnlich lange Zeit genommen. Ich bin innerlich vollends mit ihm versöhnt. Der nächste Versuch soll im April starten und zwar vor Zyklustag eins. Bereits einige Tage vor Eintreten der Regel will er meine körpereigenen Hormone unterdrücken. Warum habe ich nicht wirklich kapiert. Bis dahin sind es noch zwei Monate. So ganz nebenbei haben wir erfahren, dass das letzte Spermiogramm von Noerd, das für die ICSI automatisch angefertigt wird, außergewöhnlich gut war. Die Erlebnisse der nächsten Wochen werde ich daher nicht im Detail dokumentieren .. ;)

*IMSI = Intrazytoplasmatische Morphologisch Selektierte Spermien Injektion. Hierbei werden mittels 6500-facher Vergrößerung unter dem Mikroskop die besten Spermien für die ICSI ausgesucht. Der Spaß kostet pro befruchteter Eizelle ca. 200 €.

Montag, 14. Februar 2011

Der nachträgliche Abbruch

Um Punkt zwölf Uhr treffe ich mich mit meinem Mann in der Kinderwunschklinik. Wir geben uns wortlos einen Kuss, melden uns an und werden noch "einen Moment" ins Wartezimmer gebeten. In der vorangegangenen Stunde saß ich geistesabwesend im Büro. Als mein Kollege mich fragt, ob es mir nicht gut geht, kann ich nicht vermeiden, dass mir eine Träne über das Gesicht kullert. Ich bitte ihn mich einfach ein wenig in Ruhe zu lassen. Danach wurde im Büro in meiner Anwesenheit nicht mehr gesprochen.

Nachdem ein paar Minuten vergangen sind, werden wir in ein Besprechungszimmer gebeten. Zu unserer Überraschung treffen wir dort nicht den Arzt an, sondern eine Sprechstundenhelferin.

"Der Herr Doktor hat heute leider keine Zeit für eine Besprechung. Er bittet Sie einen Termin für Freitag auszumachen, um alles ausführlich zu besprechen."
"Man hat uns am Telefon gesagt, dass wir gegen zwölf Uhr kommen sollen. Wir sind jetzt beide aus dem Grund in der Mittagspause hier her gefahren. Bitte fragen Sie noch einmal nach.", sagte ich freundlich aber bestimmt.
"Es geht heute leider nicht. Es tut mir leid. Mehr kann ich jetzt auch nicht für Sie tun.", sagt die Dame und verlässt das Zimmer mit einem Gesichtsausdruck der - für meinen Geschmack - ein nicht ausreichend schlechtes Gewissen zeigt.
"Das gibt es doch nicht, jetzt schmeißen uns die hier einfach unvermittelt raus.", sage ich zu Noerd als wir das Besprechungszimmer verlassen.
"Sozialkompetenz steht wohl nicht im Lehrplan eines Facharztes für Reproduktionsmedizin.", gibt Noerd kopfschüttelnd zurück.
"Ja, und diese Termine bringen kein Geld." füge ich noch bitter hinzu.

Ich bin stinksauer und traurig. In diesem Moment lässt mein Kopf nur einen Gedanken zu: Mein Arzt ist Schuld an diesem Fehlversuch. "Er hätte mir nicht zu der Behandlung raten dürfen, als er gesehen hat, dass der rechte Eierstock nicht mit macht. Er hätte den Eisprung nicht bereits an Zyklustag zehn auslösen dürfen. Es war doch schon vorher klar, dass meine Eizellreife nicht so gut ist. Wer weiß, wie die Punktion gelaufen ist. Vielleicht hat er da was falsch gemacht? An seiner Stelle würde ich mich auch nicht raus trauen!". Diese Gedanken hätte der feine Herr Repro-Doktor mit einem kurzen Gespräch verhindern können. Für sein Image wäre das vorteilhafter gewesen, als dieses Versteckspiel.

"Was machen wir jetzt?", frage ich Noerd.
"Einen Termin für Freitag.", sagt er.
"Ich will aber noch mal eben in die Abrechungsstelle. Ich würde die gerne etwas fragen. Kommst du noch mit?"
"Na klar.", sagt er und legt seine Hand in meine.

In der Abrechnungsstelle kommen wir schnell dran. Mit all meinem Frust, versuche ich der Dame, die für's Finanzielle zuständig ist, freundlich gegenüber zu treten.

"Wir haben heute erfahren, dass der letzte ICSI-Versuch nicht geklappt hat. Keine der Eizellen hat sich befruchten lassen.", beginne ich.
"Ja, das habe ich gerade gesehen. Es tut mir sehr leid." antwortet die Dame.

Jetzt stelle ich die entscheidende Frage, die mir irgendwann zwischen dem Anruf heute morgen und dem Eintreffen in der Kinderwunschklinik eingefallen ist:

"Ist es möglich, diesen Versuch der Krankenkasse noch irgendwie als 'abgebrochen' zu deklarieren?"
"Hm," sagt die Dame, "das ist theoretisch möglich".
Mein Herz hüpft.
"Sie müssten allerdings ein paar Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen."
"Ja, das ist klar. Aber, dann hätten wir doch noch einen Krankenkassen-finanzierten Versuch übrig, oder?"
"Ja, das ist richtig. Ich könnte ihnen mal schnell ausrechnen wie viel das ausmacht."
"Das wäre nett."

Die Dame nennt uns den Betrag. Er war höher als ich dachte, aber mit diesem Betrag,- der immernoch unter dem Preis einer kompletten Privatbehandlung liegt - konnten wir uns eine Perspektive erkaufen: Es würde einen zweiten letzten Versuch geben!

"Ok, so machen wir's.", gaben wir kurzentschlossen zurück und ich spüre, wie die Erleichterung in mir aufsteigt.

Als wir die Kinderwunschklinik verlassen, geht es mir gut. Es ist noch nicht alles gelaufen. Wir werden es noch einmal probieren, und beim nächsten Mal klappt's!

Der Anruf

Es ist Montag, Transfertag, vierzehnter Zyklustag und auch noch Valentinstag. Die Sonne scheint. Wenn ich Embryo wäre, würde ich mir genau so einen Tag aussuchen, um es mir in der muckeligen Gebärmutter-schleimhaut meiner Mami gemütlich zu machen. Ich bin ganz elektrisiert von dem Gedanken, dass ich heute Abend quasi “schwanger” bin. Ich sitze schon im Auto und fahre zur Arbeit. Der Termin in der Kinderwunschklinik ist erst am Nachmittag. Danach habe ich mir frei genommen, denn dieses Mal möchte ich alles richtig machen. Vielleicht hat es bei den letzten Versuchen nicht geklappt, weil ich nachdem der Transfer zu viel unternommen habe.

Ab sofort werde ich meinen Körper wieder genauestens beobachten und auf erste Schwangerschaftsanzeichen untersuchen. Werden die Brüste größer? Werden die Brustwarzen dunkler? Werden die Adern an meinen Brüsten sichtbarer? Merke ich Ziehen oder Zucken im Unterleib? Meine Brüste sind durch die Hormonbehandlung schon unangenehm empfindlicher. In Menschenansammlungen verschränke ich schon die Arme vor meiner Brust, damit bloß niemand aus Versehen an meinen Busen kommt. Sollte sich jemand erdreisten meine Brustwarzen absichtlich zu berühren, Ehemänner eingeschlossen, müsste ich ihn leider umbringen.

Die Kinderwunschklinik hat heute Morgen nicht angerufen. Das ist ein gutes Zeichen. Sollte irgendetwas schief gelaufen sein, ruft normaler Weise jemand vor neun Uhr an. Als ich mit meinem Auto bereits vor dem Büro stehe, rufe ich selbst in der Kinderwunschklinik an.

“Kinderwunschklinik, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?”
“Franka Fruchtig, guten Morgen. Ich habe heute Nachmittag einen Termin für den Transfer. Bevor ich arbeiten gehe, wollte ich mich kurz vergewissern, dass alles in Ordnung ist und dass es bei dem Termin bleibt?”
“Ich schaue gern für Sie nach. Sagen Sie mir bitte Ihr Geburtsdatum?” antwortet die nette Dame in der Telefonzentrale.
“Erster erster neunzehnhundertzweiundsiebzig.”, gebe ich bündig zurück.
“Hmhm, ja. Einen kleinen Moment bitte.”

Ich weiß nicht genau, was mich plötzlich bewogen hat, selber bei der Kinderwunschklinik anzurufen. Wahrscheinlich war es das kleine, ungute Gefühl in meiner Magengegend, das ich an diesem perfekten Morgen einfach loswerden wollte. Wenn ich erstmal in meinem Großraumbüro angekommen bin, kann ich unmöglich am Telefon über Befruchtungen von Eizellen reden. Sollte doch ein Anruf von der Klinik kommen, müsste ich erst das Büro verlassen, einige Treppen runterlaufen und den Reparaturraum der Haustechnik aufsuchen. Das ist der einzige Raum indem ich ungestört telefonieren kann.

“So. Hören Sie, Frau Fruchtig?” kommt die rhetorische Frage aus der Leitung.
“Ja?” gebe ich hoffnungsvoll zurück.
“Leider haben sich keine der zehn Eizellen befruchten lassen. Damit fällt dann auch der Termin für den Transfer heute Nachmittag aus.”

Es ist unmöglich diesen entsetzlichen Moment zu beschreiben. Vielleicht kann man ihn vergleichen mit der Todesnachricht eines lieben Verwandten oder einem Anruf von der Feuerwehr, der Dir mitteilt, dass gerade Dein Haus abgebrannt ist. Ich kann mich nur an den Schock erinnern, der wie ein Blitz durch meinen Körper schoss und ihn lahmlegte. Zum Glück hatte ich bereits vor dem Büro geparkt. Zum Glück fuhr ich nicht. Ich weiß nicht, ob ich es in diesem Moment geschafft hätte, die Kontrolle über meinen Wagen zu behalten.

“Keine Befruchtung?”, frage ich aus purer Hilflosigkeit, als würde es sich die Dame von der Kinderwunschklinik noch mal anders überlegen. Mein Gehirn war einfach noch nicht bereit, diese Nachricht zu akzeptieren.
“Nein, leider.”, ist die ernüchternde Antwort.
“Und was machen wir jetzt?”, schießt es unkontrolliert aus mir raus.

Diese Frage ist sinnlos, aber sie ist der letzte Strohhalm, an den ich mich festklammere. Ich habe Angst, das Gespräch zu beenden, denn das bedeutete die Endgültigkeit des negativen Ergebnisses. So lange die Dame noch am Telefon ist, habe ich das Gefühl, dass uns doch geholfen werden kann. Im Stillen hoffe ich wohl, ich kann für das nötige Kleingeld eine Embryospende aus dem Ausland eingesetzt bekommen. Der Transfertermin wäre gleich heute Nachmittag, alles bliebe (fast) beim alten. Hätte die Dame mir dies in diesem Moment tatsächlich angeboten, ich hätte wahrscheinlich zugestimmt.

“Wollen Sie vielleicht einen Gesprächstermin mit dem Doktor ausmachen?” fragt die Dame zögernd.
“Ja”, sage ich, “am Besten so bald wie möglich. Können wir in der Mittagspause kommen?”

Der Gedanke daran, dass ich länger als zwei Stunden ohne Erklärung, ohne Details und ohne eine Perspektive ausharren muss, ist lähmend. In diesem Moment beschließe ich, dass ich nicht vielleicht irgendwann, sondern SOFORT mit dem Doktor reden muss.

“Eigentlich hat Herr Doktor keine Termine frei heute. Wie wäre es mit Freitag?”
“Nein, Freitag ist viel zu spät. Ich hatte doch einen Transfertermin heute. Eine viertel Stunde muss er also zwischendurch Zeit haben.”, sage ich jetzt mit leichter Aggressivität in der Stimme. Das Gespräch mit dem Doktor scheint mir die einzige Möglichkeit, meine wirren, traurigen und entsetzten Gedanken zu ordnen.
“Hm. Vielleicht geht es so gegen zwölf Uhr. Sie müssten aber ein bisschen Zeit mitbringen.”
“Ok, ich komme um zwölf Uhr.” antworte ich.

Damit war das Gespräch beendet. Ich hatte jetzt alle Zeit der Welt. Termine, die im Büro anliegen, habe ich ausgeblendet. In der Sekunde in der ich auflege, rufe ich auch schon meinen Mann Noerd an. Er geht nicht ans Telefon. “Bitte lass mich jetzt nicht damit alleine.”, denke ich und schreibe ihm direkt anschließend eine SMS mit den Worten: “Ruf mich bitte mal an.” Danach wähle ich die Nummer meiner Schwester. Sie geht ans Telefon, ich sage kurz und knapp, was passiert ist. Sie ist erst sprachlos und versucht dann mich zu trösten. Als ich merke, dass Sie mir meine Verzweiflung nicht nehmen kann, lege ich wieder auf. In diesem Moment ruft Noerd zurück. Ich erkläre ihm sachlich die Situation und hoffe, dass seine Reaktion mir hilft. Er sagt: “Das muss ein Fehler sein.” Das hilft mir nicht aber wenigstens verabreden wir uns in der Mittagspause in der Kinderwunschklinik. Es wird mir klar, dass mir kein Mensch mit Worten oder Taten das wieder geben kann, was ich gerade verloren habe.

Fortsetzung

Sonntag, 13. Februar 2011

Ei-Frei

Den Morgen des dreizehnten Zyklustags genießen mein Liebster (ich nenne ihn ab jetzt einfach Noerd*) und ich im Bett. Es ist Sonntag, das Wetter ist herrlich, mir geht es nach der Punktion gestern bestens. Was will man mehr? Ich liege mit meinem Kopf auf Noerds Brust; meine Arme habe ich fest um seine Taille geschlungen. Wir schauen beide an unsere Schlafzimmerdecke und sprechen über das Thema, das momentan unser Leben bestimmt.

Bei der letzten ICSI-Behandlung habe ich mich am Tag nach der Punktion beraubt gefühlt.” beginne ich.
“Diese Mal ist es ganz anders. Ich empfinde es als Entlastung. Ich habe die Verantwortung abgegeben. Ich kann heute tun und lassen was ich will. Ich habe 'Ei-frei'!” sprudelt es fröhlich aus mir heraus.
“Na, wie wäre es dann später mir einem schönen langen Spaziergang durch die Sonne?” schlägt Noerd unternehmungslustig vor.
“Sehr gute Idee. Am Abend könnten wir etwas leckeres kochen und ich trinke ein Glas Wein dazu.” spinne ich den Tag weiter.
“Vielleicht wird es das letzte Glas Wein für eine lange Zeit.” füge ich noch hinzu und verdrehe verschwörerisch die Augen.

Zwei Minuten gemütliche Stille treten ein. Unsere Gedanken scheinen das einzige zu sein, was sich in diesem Moment bewegt. Wenn wir mal ehrlich sind, ist so ein Sonntag nur ohne Kinder möglich. Ich versuche es zu genießen. Natürlich klappt es nicht. Ich wünsche mir buchstäblich, dass in diesem friedlichen Moment die Tür aufgeht, ein bis zwei kreischende Kinder dem Bett entgegen laufen, um - ohne Rücksicht auf unsere Privatsphäre - auf uns drauf zu springen, immernoch kreischend.

“Jetzt im Moment liegt eine Eizelle von mir verschmolzen mit einem Spermium von Dir im Brutschrank.”, sage ich und kuschele mich noch enger an Noerd.
”Den Gedanken allein finde ich schon irre schön.” füge ich noch hinzu. Noerd dreht sein Gesicht zu mir und lächelt mich an.
“Na, ich denke, dass da mehrere von der Sorte herumliegen.” antwortet Noerd nach einer Weile und schaut dann wieder an die Zimmerdecke.
“Also von zehn Eizellen könnten vielleicht fünf reif sein. Maximal sechs bis sieben. Aber ich gehe eher von weniger aus.”, gebe ich zurück.
Bei den letzten Behandlungen waren viele meiner Eizellen bei der Entnahme quasi noch in der Pubertät, also nicht reif. Nicht reife Eizellen lassen sich nicht befruchten. So ist das eben.
“Hauptsache es entwickeln sich drei schöne Embryos für den Transfer morgen. Wenn noch weitere eingefroren werden können für einen Kryo-Versuch, dann wäre es natürlich optimal gelaufen.” überlege ich laut und verliere mich dann wieder im endlosen Beige der Zimmerdecke. Beim letzten Versuch wurden mir dreizehn Eizellen entnommen. Davon waren sechs Eizellen reif. Vier davon haben sich nur befruchten lassen.
“Sicher werden es nicht viel mehr als drei Embryos.” schließe ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung ab und hoffe auf einmal, dass es überhaupt drei Embryos werden. Ein kleiner Kummerknoten schnürt sich in der Gegend meines Magens zusammen. Zum Glück findet mein Liebster in diesen Momenten immer die richtigen Worte:
“Wir sollten ein Bild an die Schlafzimmerdecke hängen.”, sagt er und lächelt mich an.

Es wurde ein wunderschöner Sonntag.

Fortsetzung

* Germanischer Gott der Schifffahrt, des Reichtums und der Fruchtbarkeit.

Samstag, 12. Februar 2011

Spenden ohne Quittung

Es ist 9 Uhr morgens am 12ten Zyklustag. Ich habe sehr gut geschlafen. Es ist bereits meine dritte Punktion heute, also kein Grund mehr zur Aufregung. Wir sitzen in der Kinderwunschklinik und warten beide darauf, die Crème de la Crème unseres Erbguts an das Labor abzuliefern. Ich fülle nur noch eben den Narkosebogen aus, während mein Liebster die fehlenden Unterschriften leistet. "Hier bitte die Einverständniserklärung für die Durchführung der ICSI. Und hier bitte noch unterschreiben, dass Sie drei Embyronen zurück haben möchten, und hier ...", betet die Dame aus der Verwaltung das Prozedere herunter.

"So, dann kommen Sie jetzt bitte mit mir!", lautet die beherzte Aufforderung der Assistentin an meinen Mann. Sie weiß es. Ich weiß es. Und er weiß es natürlich. Mein Mann geht jetzt masturbieren. Das gehört zur Kinderwunschbehandlung dazu. Aber immerhin ist es für einen guten Zweck! Es gibt dafür einen extra hierfür eingerichteten Raum, in dem man ein Erotikvideo oder ein Erotikmagazin konsumieren kann, um an einem Samstag morgen um halb 10 ein wenig in Stimmung zu kommen. Bis jetzt hat es jedesmal geklappt! Wir geben uns schnell noch einen viel zu kurzen Abschiedskuss, dann ist mein Mann weg. Durch den Rest muss ich alleine durch.

Die Routine beruhigt und erschreckt mich zugleich. Ich weiß, wie alles läuft. Ich kenne den Raum in dem die Punktion stattfindet, sowie den Aufwachraum und welche Kekse man dort bekommt. Auch bei der geschäftlichen Abwicklung, bei der nun ich an der Reihe bin, gibt es keine Überraschungen mehr. Auf den Formularen ist Platz für vier Unterschriften: 1. Versuch, 2. Versuch, 3. Versuch und 4. Versuch. "Wahrscheinlich sind das Formulare aus den Zeiten, in denen die Krankenkassen noch vier Behandlungen unterstützt haben.", denke ich. In Zeile eins, zwei und drei steht nun meine Unterschrift. "Es ist der letzte Versuch", schießt es mir noch einmal durch den Kopf und auf einmal ist nichts mehr Routine.

Im Operationsaal begrüßt mich die nette Narkoseärztin, mit der ich gestern das telefonische Vorgespräch geführt habe. Ich ziehe mich untenrum aus und lege meine Unterhose zuletzt auf den Kleidungsstapel. Die Unterhose wird mir später, während ich noch in der Narkose bin, wieder angezogen. Es liegt ein Duft von Frangipaniblüten in der Luft. Um dem Doc die Wochenendarbeit zu versüßen, habe ich mein Schamhaar etwas gestutzt und meine Oberschenkel mit Frangipanibutter eingeölt. Ich werde wohl nie erfahren, ob er den Duft dieser schönen Blüten eigentlich mag.

Dieses mal setze ich durch, dass man meine Paradevene an meinem rechten Arm für die Narkose ansticht. Beim letzten Mal hat man trotz meines Protests den linken Arm genommen und prompt bin ich mit einem beträchtlichen Hämatom aus der Narkose aufgewacht. "Doktor Pflanzfort, die Patientin in OP 2 ist für die Punktion bereit." gibt die Assistentin jetzt über einen Hauslautsprecher bekannt, den nur die Ärzte hören. Als mein Doc den OP betritt, bin ich noch wach und er fragt mich wie es mir geht. An das, was ich geantwortet habe, kann ich mich nicht mehr erinnern.

Man wacht erst so richtig auf, nachdem man schon ein paar Meter mit Untrstützung der Narkoseärztin zum Aufwachraum gelaufen ist. Dort wartet mein Liebster auf mich und ich freue mich. Später erzählt er mir, dass ich in den ersten Minuten alles zweimal gesagt habe. Die ersten Worte waren wohl: "Schön, dass Du da bist.", gefolgt von "Habe ich meine Unterhose an?". Schon nach ein paar Minuten bin ich wieder komplett da. Es geht mir gut. Ich habe überhaupt keine Schmerzen, aber ich weiß, dass die später noch einsetzen können. "Scheint gut gelaufen zu sein." denke ich, als mein Doc zur Abschlussvisite reinspaziert.

"Gucken Sie mal, ich habe zehn schöne Eizellen gefunden." gibt er stolz von sich und zeigt uns das Punktionsprotokoll. Daneben steht kurz und bündig: "Sperma Mann: OK." Damit sind für die Kinderwunschklinik alle Vorraussetzungen erfüllt, um sich über das Wochenende mit unserer Reproduktion zu beschäftigen. Alle sind zufrieden und gegen 11 Uhr verlassen wir die Klinik. Eigentlich hatte ich mir für den Tag nichts vorgenommen, aber nachdem es mir so gut geht, entscheiden wir uns spontan für ein leichtes Lebensmittelshopping-Programm. Den ganzen Tag bleibe ich fast schmerzfrei. Das versöhnt mich vollends mit meinem Doc, der doch zu wissen scheint, was er tut. Am Abend schaue ich mir mit Spannung die erste Wetten-Dass Sendung nach dem schweren Unfall an und gehe leicht unterhalten zu Bett. Das war ein guter Tag im Kinderwunschwahnsinn.

Forsetzung

Freitag, 11. Februar 2011

Die Kinderwunschklinik, dein Freund und Helfer

DrillingschwangerschaftHeute ist Freitag, der elfte Zyklustag. Es ist 8:55 Uhr, ich sitze noch beim morgendlichen Café-Latte auf der Couch und dabei laufen die letzten Minuten des Morgenmagazins im ARD-Fernsehen. Ein toller Start in den Tag. Überhaupt ist es ein guter Morgen. Die Last der Entscheidung bezüglich der Anzahl der zu transferierenden Embryonen ist von mir gefallen. Gestern Abend haben mein Mann und ich uns für das Einsetzen von drei Embryonen entschieden. Eine schwierige Entscheidung, die man nicht leicht fällen darf. Wenn der Arzt meint, dass man dieses Risiko in unserem speziellen Fall eingehen kann, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingschwangerschaft bei uns wohl wirklich gering. Aber uns ist klar, dass dieser Fall mit all seinen Folgen dennoch eintreten kann. "Einer von den drei Hübschen wird es sicher schaffen", denke ich bei Nachrichten und Wettervorhersage. Da klingelt das Telefon.

"Unbekannter Teilnehmer", informiert mich der hochauflösende Bildschirm meines Android -Smartphones. "Es ist die Kinderwunschklinik", denke ich und zucke zusammen. Ein Anruf mit unterdrückter Telefonnummer hat bei mir den selben Effekt wie das Erblicken eines Polizeiautos. Beide überbringen meist schlechte Nachrichten. "Franka Fruchtig", melde ich mich mutig. "Hallo Frau Fruchtig, hier ist die Kinderwunschklinik. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ihre Blutwerte in Ordnung sind." piepst die fröhliche Stimme der KWK-Arzthelferin auf der anderen Seite der Leitung. "Toll." sage ich und wusste gar nicht, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Später einmal erfuhr ich von meinem Arzt, dass kurz vor der Punktion nochmal der Progesteron- und Östrogenwert im Blut gemessen werden. Daran erkennt der Arzt, ob z.B. der Zeitpunkt der Punktion richtig gewählt wurde. "Also, bis morgen."
"Jahaa, bis morgen." singe ich ins Telefon als hätte ich einen Preis gewonnen, den ich mir morgen abholen darf.

Fünf Minuten später klingelt schon wieder das Telefon. Und wieder ist der Anrufer unbekannt. "Nanu", denke ich, "ist mein Blut doch nicht in Ordnung?"
"Hallo Frau Fruchtig, hier ist die Kinderwunschklinik. Mein Name ist Frau Doktor Tiefschlaf und ich bin morgen Ihre Narkoseärztin. Können Sie frei sprechen, oder soll ich die Fragen so stellen, dass Sie nur mit 'Ja' oder 'Nein' antworten müssen?"
"Wow", platzt es aus mir heraus, "das ist das erste Mal, dass mich das jemand fragt. Das finde ich sehr nett von Ihnen. Vielen Dank. Ich bin zu Hause und kann frei sprechen."
Den Fragenkatalog, der anschließend kommt, kenne ich bereits vom letzten Mal, bis auf die eine Frage:
"Wissen Sie schon, wieviele Eizellen es ungefähr sind?" knattert es liebevoll aus der Leitung.
"Ja, es sind nur zehn Follikel diesmal", antworte ich und meine Stimme klingt das erste Mal heute morgen traurig.
"Das ist doch gut." antwortet sie. "Die Quantität sagt nichts über die Qualität aus."
"Bei den beiden letzten Malen waren es aber mehr." erwidere ich trotzig wie ein kleines Kind.
"Aber es hat trotzdem nicht geklappt, nicht wahr? Glauben Sie mir, weniger ist manchmal mehr."
Innerlich lächle ich. Dem 38 jährigen Kind Franka hat man Mut zugesprochen und es hat funktioniert.
"Also dann, bis morgen." sagt sie zum Abschluss.
"Ja, bis morgen.", schließe auch ich das Gespräch ab und freue mich absurderweise auf meine Punktion. "Die Kinderwunschklinik, Dein Freund und Helfer!" denke ich noch und lächle wieder.

Fortsetzung

Donnerstag, 10. Februar 2011

Drei sind einer zu viel

DrillingeDas ist die eindeutige Botschaft der Informationsbroschüren, die ich von der Dame in der Abrechnungstelle bekomme. Zwei Kinder passen vielleicht noch in meinen Bauch. Aber für drei ist er nicht gemacht. Bei Drillingen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass keine bzw. nicht alle Babys überleben, oder so früh zur Welt kommen, dass sie bleibende Schäden davon tragen. Das ist hart. Ein behindertes Kind stellt sich keiner vor, der hier in der Kinderwunschklinik sitzt. Alle träumen von einem gesunden Kind. So eins wie auf den Baby-Foto-Kollagen, die jeden freien Quadratzentimer Wand der Klinik schmücken. Als wir mit der ersten Kinderwunschbehandlung starteten, machten mir die Säuglings-Bilder Mut. Ich dachte mir: "Hey, die können das hier wirklich!" Mittlerweile denke ich mir: "Sind das wirklich Bilder von Babys, die mein Doc zustande gebracht hat, oder sind die Bilder geklaut? Und wenn die Bilder nicht geklaut sind, warum klappt es bei so vielen anderen Paaren und nicht bei uns?" Ich habe mich sogar schon dabei erwischt, zu überprüfen, ob ein Babygesicht irgendwo zweimal hängt.

Auf den nächsten Seiten schildern die Unterlagen das Leben mit drei kleinen Kindern nach der Geburt. Selbst wenn alle Kinder gesund zu Welt kommen, bedeutet die Pflege puren Stress. Es sind drei Kinder zu wickeln, drei Kinder zu füttern, drei Kinder an zuziehen. Ganz zu schweigen davon, dass drei Kinder mit Sicherheit nicht alle zur gleichen Zeit schlafen. Mit dieser Dauerbelastung und dem entsprechenden Schlafmangel, gehen beide Eltern bald auf dem Zahnfleisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung das nicht überlebt, ist groß.

"So und jetzt hier bitte unterschreiben", sagt die Dame, die sich um den Papierkram kümmert und hält mir die "Kenntnisnahme über das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften" unter die Nase. Ich frage mich warum die eigentlich einen weißen Kittel an hat. Die ist doch sicher Bürokauffrau und keine Ärztin. "Das muss ich erst nochmal mit meinem Mann besprechen", gebe ich zurück und bin froh einen Grund gefunden zu haben, die finale Entscheidung über die Anzahl der zu übertragenden Embryos noch etwas herauszögern zu können. "In Ordnung, aber spätestens zur Punktion müssen Sie diese Unterlagen unterschrieben mitbringen."

Als ich aus dem Büro komme, bietet sich mir ein lustiges Bild. Meine Schwester, die auf mich gewartet hat, sitzt auf einem roten Massagestuhl der gerade das Programm "Full Body Relief" erbarmungslos durchführt. Sie kichert das ganze Wartezimmer zusammen, denn sie ist furchtbar kitzelig. Zwei andere Paare mit fortgeschrittenem Kinderwunsch gucken sich das Schauspiel an und können nicht anders als mit zu lachen. Für einen kurzen Moment sind alle Sorgen vergessen. "Sechs lachende Gesichter hat dieses Wartezimmer sicher lange nicht gesehen", denke ich, helfe meiner Schwester aus den Klauen der roten Krake und verlasse mit ihr die Kinderwunschklinik. "Schön, dass Du mitgekommen bist." sage ich zu ihr und lege meinen Arm um sie.

Fortsetzung

Gratis-Tampons gegen schlechte Laune

Für den dritten Ultraschalltermin am heutigen Donnerstag habe ich einen sehr frühen Termin bekommen. Es ist so früh an diesem Kinderwunschmorgen, dass noch nicht einmal Licht im Wartezimmer der Klinik an ist. Auch die Kaffeemaschine gibt nur ein leeres Zischen von sich. Meine Schwester ist wieder mitgekommen. Das finde ich toll. Meine Gesichtszüge laufen jedoch noch im Notstromaggregatmodus und sie schaffen es nicht, ihr meine Freude so richtig zu zeigen. Da werden wir auch schon aufgerufen.

Der Termin verläuft sehr ähnlich wie der letzte. Linker Eierstock ist prall gefüllt, rechter Eierstock hat zwei Mini-Follikel aufzuweisen. "Tja, das kann schon mal sein, dass man einen Zyklus erwischt, in dem nur ein Eierstock aktiv ist.", sagt mein Doc und legt seinen mitleidigen Blick auf. "Ziehen Sie sich erstmal an, dann besprechen wir alles Weitere." Im Umkleideeck des Behandlungszimmers bekomme ich schlechte Laune und schlüpfe nur bockig in meine Hose. "Man(n) hat doch schon am zweiten Zyklustag auf dem Ultraschallgerät gesehen, dass links gute Anlagen sind und rechts nicht. Zu dem Zeitpunkt konnte ich schon selber erkennen, dass sich links einige Minifollikel tummeln. Rechts war aber gar nichts zu sehen." denke ich, während ich meine Schnürsenkel zubinde. Aus Frust packe ich erstmal ein paar Tampons ein, die dort für die Patientinnen kostenlos herumliegen. Das hebt meine Laune kurzfristig.

Zurück im Behandlungszimmer sagt mein Doc: "Es ist doch alles in Ordnung." und versucht mich damit aufmuntern. "Am Samstag können wir die Punktion durchführen und am kommenden Montag den Transfer."
"Hmmmhm." gebe ich wortkark zurück.
"Heute nachmittag nehmen Sie die eisprungauslösende Spritze."
"Hmmmhm."
"Diesesmal sollten wir dann drei Eizellen einsetzen."
"Hmmmhm."
"Am Abend vor der Punktion bitte nach 21:30 nichts mehr essen. Aber das sagt Ihnen auch nochmal die Narkoseärztin."
"Hmmmhm."
"So und jetzt müssen Sie nochmal zur Blutabnahme für den AIDS-Test und dann noch in die Abrechnungsstelle."
"Hmmmhm."
"Bis Samstag."

Ich quäle mir ein Lächeln heraus und gebe meinem Doc die Hand. Komisch, am Anfang hatte ich den Doktor wirklich nett gefunden, aber jetzt wächst mein Misstrauen. Will er meinen persönlichen Wunsch nach einem Kind unterstützen, oder will er diesen Monat einfach noch ausreichend verdienen? Februar ist schließlich ein kurzer Monat; da macht sich im Kinderwunsch-Business sicher jeder Zyklustag bemerkbar. Auf die Idee, diesen Versuch abzubrechen, kam ich leider nicht.

Fortsetzung

Dienstag, 8. Februar 2011

Ovarische Verweigerungshaltung

Es ist der achte Zyklustag. Fünf Tage lang spritze ich bereits morgens, mittags und abends Hormone. Seit gestern muss ich zwischen 17 und 18 Uhr auch noch die eisprungverhindernde Spritze Orgaludingsbums setzen. Für dieses Spritzenpensum sieht mein Bauch, bis auf zwei blaue Flecken, eigentlich noch ganz gut aus.

Heute habe ich vor der Arbeit einen Termin bei meinem Kinderwunsch-Doktor zum zweiten Ultraschall. Zu diesem Termin wird getestet, ob die Hormone gut anschlagen und ob sie richtig dosiert sind. Ich habe meine Schwester gebeten, zur Untersuchung mitzukommen. Ich hatte spontan beschlossen, dass es einfacher sei, sich vorzustellen wie eine Kinderwunschbehandlung aussieht, wenn man mal bei einem Arztbesuch dabei war. Wir sitzen erst ein paar Minuten zusammen im Wartezimmer, da werde ich auch schon aufgerufen. Ich gehe schon aus Gewohnheit an der Arzthelferin vorbei in das Umkleidezimmer und mache mich bereit. Mein Schwesterchen nimmt auf dem Besucherstuhl neben der Tür platz.

Zwei Minuten später befinde ich mich in der Ultraschall-Untersuchung. Nachdem ich so viel Geld für Hormone ausgegeben habe wie noch nie, erwarte ich auf dem Bildschirm eine regelrechte Armada an heranwachsenden Follikel zu sehen. Meine Erwartungen an meinen linken Eierstock werden voll und ganz erfüllt. Es tummeln sich dort acht bis zehn schwarze Murmeln in einer beachtlichen Größe. Nun bahnt sich der Ultraschallstab seinen Weg an meiner vorbildlich aufgebauten Gebärmutterschleimhaut vorbei zu meinem rechten Eierstock. Vier Augenpaare kleben gespannt auf den Bildern des Ultraschallgeräts auf der Suche nach der Follikel-Großproduktion meines rechten Ovars.

Gähnende Leere macht sich breit; von Folliken keine Spur. Erst nach mehrfachen Anläufen des Ultraschallstab-Jongleurs, lassen sich zwei Mini-Follikel dazu herab ihr schwarzes Gesicht in die Kamera zu halten. Das gibt es doch nicht! Mein rechter Eierstock hat keinen Bock! "War das in den früheren Behandlungen auch schon so?", fragte der Doktor mich. Ich verneinte. Bisher war die Ausbeute immer gleichverteilt. Aber warum werde ich das eigentlich gefragt? Steht denn in meiner Patienten-Akte nichts darüber? Na ja, es ist wohl wie überall im Leben, man muss immer ein wenig mitdenken.

Bevor mein Doc mich zur Blutabnahme entlässt, stellt er fest, was wir alle mit eigenen Augen bereits gesehen haben. "Es ist alles in Ordnung. Es ist ein guter Versuch. Vielleicht wachsen die zwei Follikel auf der rechten Seite jetzt ja noch. Nehmen Sie die Hormone unverändert weiter. Es nützt übrigens nichts wenn Sie sich rechts in den Bauch spritzen." Ich frage mich, ob das ein Witz sein sollte. "Bin ich wirklich schon gefragt worden." fügt er hinzu und lacht wie jemand, der sich erklären will. "So, jetzt muss ich weiter. Bis Donnerstag, Frau Fruchtig." Und Tschüss.

Um drei Kanülen Blut erleichtert, verlasse ich die Klinik. Meine Schwester versucht mich aufzuheitern. Meine Enttäuschung über die Verweigerungshaltung meines rechten Ovars, sieht sie meinem Gesicht natürlich an. Es sagt: "Es ist der letzte Versuch. Warum muss ich diesesmal so wenig Follikel produzieren wie noch nie? Ich hatte gehofft, die letzte Hormonbehandlung würde eher mehr Versuche ermöglichen als zuvor." Dann sagt meine Schwester den Satz, der mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. "Du bist keine Maschine, meine Süße, und das ist auch gut so." Sie hat recht. Und vielleicht tut sich ja wirklich bis zum nächsten Ultraschalltermin am Donnerstag rechts noch etwas. Der Alltag ruft. Spätestens um 10 Uhr muss ich im Büro sein.

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Samstag, 5. Februar 2011

Panik

Es ist zwei Uhr morgens in der Nacht vom vierten auf den fünften Zyklustag. Ich wache mit einem Unwohlsein auf. Irgendetwas stimmt nicht. „Vielleicht reagiere ich schlecht auf die Medikamente“ überlege ich lautlos, während mein Adrenalinspiegel steigt. „Ich habe zwei unterschiedliche Hormonpräparate und fast eine doppelte Dosis bei dieser Behandlung verschrieben bekommen. Vielleicht ist das für meinen Körper einfach zu viel? Oder vielleicht vertrage ich die beiden Hormone in Kombination nicht gut?“ Mir wird ganz heiß bei diesen Gedanken, ich fange an zu schwitzen und schlage die Bettdecke etwas zurück.


Jetzt spüre ich einen drückenden Schmerz in der Nähe meines Herzens. „Das ist nicht gut!“, rast es mir durch den Kopf. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass Menschen vor einem Herzinfarkt kein Stechen, sondern ein Drücken am Herzen fühlen. Ich kann mich nicht daran erinnern, schon mal so ein Drücken gespürt zu haben. Angst steigt in mir auf. Ich spüre das deutliche Pochen meines Herzens und durch meine düsteren Gedanken wird es immer lauter. Als ich merke, dass meine Atmung hektisch wird, schlage ich die Augen auf, richte mich etwas auf und schaue nach links. Mein Süßer liegt neben mir und schläft ruhig. Ich überlege, ob ich ihn wecken soll, entscheide mich aber dagegen.


Im letzten Jahr hatte ich zum ersten Mal eine Panikattacke. Es passierte kurz nach dem ich das negative Ergebnis unserer ersten ICSI mitgeteilt bekommen hatte. Ausgerechnet in dieser Nacht hatte ich bei einer Freundin geschlafen. Ich wachte auf, fühlte ein Kribbeln in Armen und Beinen das immer stärker wurde und bekam Angst. Durch die Angst stieg mein Blutdruck und das Kribbeln wurde noch schlimmer. In dieser Spirale bekam ich Todesangst, weckte meine Freundin und ließ den Notarzt rufen. Der Arzt stellte einen Blutdruck von 185 fest und einen zu niedrigen Kaliumwert im Blut, das vom zu häufigen, tiefen Atmen kam. Er gab mir eine Schlaf- bzw. Beruhigungstablette und tatsächlich wurde ich ruhiger und wieder müde. Er fragte mich, ob ich seelische Probleme hätte und empfahl mir mal mit einem Psychiater zu sprechen. Diese Sitzung lässt bis heute auf sich warten.


Mittlerweise sitze ich aufrecht im Bett. Es wird mir klar, dass ich wieder eine Panikattacke habe. Es könnte also sein, dass meine Beschwerden von meiner Angst kommen. Wenn ich es schaffe, mich selbst auf anderen Gedanken zu bringen, kann ich dann weiterschlafen? Kann Engelchen dem Täufelchen die Tour vermasseln? Kann mein Verstand gegen meine Angst siegen? Ich muss es versuchen. Zunächst konzentriere ich mich auf meine Atmung und versuche ein paar Minuten kontrolliert und langsam in den Bauch zu atmen. Dann greift meine Hand automatisch zu meinem Telefon.


Neuerdings kann ich meinen Blog und Facebook auch von meinem Telefon aus abrufen. Die Vodafone Mobile Flat macht's möglich. Ein paar von Euch haben an meine Pinnwand geschrieben und meine Statistikseite zeigt unglaubliche 13.000 Seitenaufrufe an. Es gibt ein paar neue Kommentare auf meinem Blog, die mich aufmuntern und die ich nacheinander verschlinge. Ein Eintrag gefällt mir besonders:"... ich bin froh, dass es jemand gibt, der mir aus dem Herzen spricht. Man fühlt sich nicht mehr so einsam." Nach zwanzig Minuten lege ich mein Telefon zur Seite. "Ich muss auch über meine Panikattacke schreiben." In Gedanken an die ersten Formulierungen schlafe ich ein. Engelchen hat gesiegt!


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Donnerstag, 3. Februar 2011

Pharmazeutisches Freudenhaus

Am Morgen des dritten Zyklustages stehe ich in der Apotheke mit der stratisch guten Lage gegenüber der Kinderwunschklinik. Die Apothekerin grüßt mich freundlich und ich grüße freundlich zurück. Dann schiebe ich ihr wortlos mein Rezept über die Theke. Was soll ich auch sagen? Glücksbringer StorchWenn sie sieht, was auf meinem Rezept steht, weiß sie sowieso alles über mich. Während sie meine Hormonpräparate zusammensucht, schaue ich mich um. Neben mir wird eine andere Kinderwunsch-Patientin bedient. Ich erkenne es daran, weil sie die gleichen Hormonpackungen bekommt wie ich. Es ist ihr erster Versuch, denn als die Apothekerin sie fragt, ob sie schon den Glücksbringer hat, den hier alle Damen von gegenüber beim ersten Großeinkauf bekommen, verneint sie.

Einen Moment lang denke ich, ich sollte sie ansprechen. Es könnte eine von Euch sein, eine meiner treuen Leserinnen oder einfach eine Frau, die jemand zum Reden braucht, wie ich. Ich kam nicht dazu eine Apotheken-Freundschaften zu schließen, denn die Rechnung, die ich für meine Hormone präsentiert bekam, holte mich unsanft aus meinem Tagtraum zurück. Ich kontrollierte die Rechnung, aber der Betrag stimmte. Mein Doktor hatte zwar am Vortag mit mir besprochen, dass ich bei diesem Versuch zwei verschiedene Hormone und auch eine höhere Dosis bekommen soll, dass dies jedoch auch eine höhere Dosis Kapitaleinlage bedeutete, wurde mir erst in diesem Moment klar. Ich schluckte und schaute die Apothekerin nur an.

Um die starre Situation aufzulockern, schenkte sie mir ein Wärmekissen und mehrere Probierpackungen Biogummibärchen, denn den Glücksbringer hatte ich ja schon. Sie hatte wohl Erfahrung auf diesem Gebiet. Die Geschenke schütteten ein paar Glückhormone in meinem Hirn aus (ganz umsonst!) und beruhigten mich. "Bei diesem Betrag müssten doch eigentlich noch ein paar Proben teurer Augenfaltencremes drin sein", dachte ich, zahlte aber schließlich und verließ arm das pharmazeutische Freudenhaus.

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Mittwoch, 2. Februar 2011

Der letzte Versuch

Der Titel klingt dramatisch. Ich hätte den Artikel auch "Der dritte Versuch" nennen können. Gleichzeitig ist dies aber verdammt noch mal der letzte Versuch, den die Krankenkasse übernimmt. Und das ist dramatisch! Natürlich gibt es noch die Möglichkeit danach eine Behandlung komplett privat zu bezahlen und vielleicht nach Österreich fahren. In Österreich herrscht wohl ein wahrer ICSI-Tourismus, weil dort die Gesetzeslage für künstliche Befruchtung etwas lockerer ist. Dort kann man unter den gezeugten Embryonen die besten heraussuchen (selektieren), länger kultivieren und dann erst einsetzen. Damit steigen die Erfolgschancen um...

Stopp! Versuche ich gerade darüber nachzudenken, was ich machen könnte, wenn dieser Versuch nicht klappt? Was ist denn das für eine Einstellung? Was für ein negatives Karma? Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass der Körper dem Gehirn und seinen Gedanken folgt. Wenn ich denke: "Ich müsste eigentlich weniger Süßigkeiten essen.", dann versteht mein Gehirn nur "müsste" und "eigentlich" und das ist so unverbindlich, dass mein Gehirn den Gedanken ablegt, als hätte er nichts mit mir zu tun. Wenn ich aber sage: "Ich werde ab sofort keine Süßigkeiten mehr essen." dann ist das so klar und konkret, dass mein Gehirn etwas damit anfangen kann.

Also. Ich muss mich konzentrieren. Was will ich? Was sage ich meinem Hirn und damit meinem Körper?

So, jetzt hab ich's: "Dieses mal klappt's!"

Schon besser!

Heute ist der zweite Zyklustag. Gestern hat meine Blutung eingesetzt. Ich war fünf Tage überfällig und hatte auf ein Wunder gehofft. Der letzte Monat war fremdhormonfrei. Wir hatten es einfach zur richtigen Zeit noch mal auf natürliche Weise probiert. Sogar zwei Mal! Als die Regel dann tatsächlich zwei Tage ausblieb, war ich aufgeregt und machte einen Schwangerschaftstest. Wie immer in meinem Leben, zeigte das Teststäbchen auch dieses mal wieder "nicht schwanger" an. Allerdings zum ersten mal auf einer Digitalanzeige! Toll? In der Gebrauchsanweisung steht, das weiß ich auswendig, dass man einfach zwei bis drei Tage später noch mal einen Test machen soll. Am Morgen des fünften Tages, also gestern, als ich schon einen neuen Schwangerschaftstest bereitgelegt hatte, setzte dann doch die Blutung ein. Abgeklärt und routiniert machte ich mir daraufhin einen Termin in der Kinderwunschklinik für den ersten Ultraschall.

Ich bekam einen Termin für den nächsten Tag um 18:30 Uhr abends. Eine ungewöhnliche Zeit, denn sonst gehe ich immer morgens vor der Arbeit hin. Als mein Mann die Uhrzeit des Termins hörte, sagte er spontan: "Soll ich mitkommen?" "Klar, gerne!" antwortete ich ihm und freute mich darüber, dass er den Vorschlag gemacht hatte.

So fand ich mich also heute - untenherum nackt - auf den Gynäkologenstuhl wieder, mit zwei Männern meines Vertrauens im Raum. Der eine tastete geschickt mit dem Ultraschallstab meine Eierstöcke ab. Der andere klebte mit seinen Augen fasziniert auf den Schwarz-Weiß-Fernsehbildern meines Gebärapparats. Mein netter Arzt befand alles für in Ordnung. Am linken Eierstock sah man deutlich, dass dort ein paar Follikel auf ein stimulierendes Hormon warteten, an keinem der beiden Eierstöcke waren Zysten zu sehen und die Gebärmutterschleimhaut hatte sich "schön" abgebaut. Also drückte er mir ein Hormonrezept in die Hand sowie meinen Behandlungsplan und ganz plötzlich war ich wieder mitten drin in einer ICSI-Behandlung...

Als wir das Behandlungszimmer verließen, sagte mein Süßer nur: "Das nächste Mal schau ich aber da unten wieder nach dem Rechten!" und hatte den Gesichtsausdruck von einem Tennisprofi, dem der Schiedsrichter gerade kurz den Ball weggenommen hatte.

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