Freitag, 21. September 2012

Ich bin eine Frau

Was war das wohl für ein Seminar, nach dem ich mich wieder als begehrenswerte und vollwertige Frau fühle, obwohl ich keine Kinder bekommen kann? Was mag das für ein Wochenende gewesen sein, bei dem man tanzend den Tag beginnt? Bei dem man am dritten Tag, alle Nackenverspannungen los ist. Drei wundervolle Tage nach dem man zum Feierabend nicht mehr zu Bier oder Zigaretten greifen will, sondern sich lieber auf den Boden setzt und bewusst atmet. Ich will jetzt Dinge für mich tun und nicht mehr meine Energie für die Bedürfnisse anderer verschenken. Von einem Über-ich war die Rede, dass man spöttisch in die Schranken weisen darf, wenn es von mir verlangt alles besser und schneller zu machen oder dringend eine Diät zu starten.

Es gab einen Moment in dem durfte ich einfach nur da sein. So wie ich bin. Ich musste nichts tun oder sein, hatte keine Anforderungen zu erfüllen. Ich lag auf dem Rücken und atmete tief ein. Ein fremder Mann hielt meinen Kopf und lächelte mich dabei an. Dabei erfuhr ich Glück, Geborgenheit, Freiheit, ja Wollust, sodass mir die Tränen über die Wangen liefen.
Ich empfand diesen Mann vorher als bedrohlich, denn er sagte mir, dass er mich sehr sympathisch findet und mich gerne mal umarmen möchte. Ich stimmte zu aber ich fühlte mich unwohl. Sekunden lang drückte er seine Brust gegen meinen Busen. Zu lang. „Was nimmt der sich raus?“, dachte ich „der weiß doch, dass ich mit meinem Mann hier bin.“ Tatsächlich, darf dieser Mann mich jetzt jederzeit umarmen, so lange er will. Ist das nicht verrückt? Ich habe diesen Mann nackt gesehen und so seine Zartheit, Zerbrechlichkeit, Schönheit und Liebe erkannt. Es ist danach unmöglich diesen  Menschen abzuweisen. Im Gegenteil, man zieht sich zu ihm hingezogen. Wer hätte von Euch bei dieser Beschreibung an ein Tantra-Seminar gedacht?

Ich habe dieses Seminar Noerd zum Geburtstag geschenkt, ohne zu wissen, was mich dabei erwartet. Er hat es angenommen, ohne zu wissen, was ihn erwartet oder was ich von ihm erwarte. Was habe ich denn eigentlich erwartet?
Wir haben jetzt fünf Jahre Sex lang gehabt mit dem Ziel ein Kind zu bekommen. Dabei haben wir darauf geachtet, dass er sein Sperma möglichst nah an meinen Gebärmuttermund schießt, ich dabei möglichst auf dem Rücken liege, nach der Ejakulation möglichst noch ein wenig liegen bleibe und das alles möglichst auf Kommando am 11., 12. und 13. Zyklustag. Damit sollte Schluss sein. „Ein Tantra-Seminar könnte da neue Impulse geben.“, hoffte ich und dachte an prickelnde Massagetechniken, die ich aus dem Fernsehen kannte.

Entgegen aller Erwartungen, habe ich Tantra als eine Lehre erfahren in der man sich selbst und andere als liebesbedürftige Wesen erkennt. Ich bin noch ganz verwirrt und muss viele meiner alten Denk-Schubladen über Bord schmeißen; noch viele Atemzüge auf meinem neuen Sitzkissen machen; mir viel Zeit nehmen, bei der Einordnung von Situationen und der Beurteilung von  Menschen. Nach knapp zehn Jahren Beziehung, habe ich Noerd neu kennen gelernt und dadurch noch tiefere Gefühle für ihn entdeckt. Ich sage Euch, das löst ein ganz anderes Feuerwerk aus als eine Penis-Massage!
Ich möchte mich bei einer ganz lieben Freundin bedanken, die mir dieses Seminar empfohlen hat. Wir haben schon so viel Großes gemeinsam erlebt. Schön, dass es Dich gibt.