Mittwoch, 27. Juli 2011

Der schwarze Rucksack

Müde aber zufrieden sitze ich im Taxi zum Flughafen. Es ist zwei Uhr morgens und das Flugzeug in Richtung Heimat startet um halb vier. Die letzten 48 Stunden waren so erlebnisreich, dass mein Kopf noch immer mit deren Verarbeitung beschäftigt. Die Sehenswürdigkeiten in Kairo haben mich verzaubert. Wegen der Unruhen zu Jahresbeginn waren nur wenig Touristen unterwegs. Beim Mittagessen saß unserere kleine Gruppe ganz allein in einem Restaurant das normalerweise mehrere Hundertschaften von Urlaubern durchschleust. Das Essen kam in Rekordzeit und auch an den Kassen der Museen gab es kaum Wartezeiten. Die gewonnene Zeit nutzte ich, um dem Reiseführer eine wichtige Frage zu stellen: Wie muss ich mich morgen beim Treffen mit den Ägyptern verhalten, damit das Meeting ein Erfolg wird?

Mein Fazit nach circa einer Stunde Diskussion war, dass die Ägypter vor mir als Deutsche Frau durchaus Respekt haben werden. Sie schätzen Deutschland als Vorreiter in vielen Branchen und akzeptieren auch, dass Frauen dort in verantwortungsvollen Positionen arbeiten. Das war die gute Nachricht. Der eindringliche Rat den Ägyptischen Männer nicht zu nahe zu kommen, verwunderte mich etwas, aber die Erklärung war einfach. Gegenüber den Ägyptischen Frauen, die fast auschließlich mit Kopfbedeckung, langärmliger Kleidung und langen Röcken auf die Straße gehen, wirken die Deutschen Touristinnen mit Träger-Shirts und kurzen Röcken wie "leichte Mädchen". Der Ägypter schließt daraus, dass alle Deutschen Frauen Sex von ihnen wollen.

Den Besprechungsraum des gestrigen Geschäftstreffens betrat ich demnach selbstbewusst und in biederer Business-Bekleidung. Bereits nach ein paar Minuten war klar, dass das Treffen ein Erfolg werden würde und die nächsten Stunden vergingen wie im Rausch. Am Ende hatte ich alle wichtigen Informationen beisammen und eine mündliche Zusage der Ägyter, das ersehnte Projekt mit uns zu starten. "Mein Chef wird zufrieden sein.", denke ich während ich bereits das Terminal des Flughafens sehe. Ich gebe dem Taxifahrer die vereinbarte Summe in Ägyptischen Pfund, aber der will plötzlich mehr Geld haben und erklärt in radebrechtem Englisch etwas von Sondersteuer. Ich ärgere mich. Gerade wollte ich ihm noch etwas Trinkgeld geben, aber daran ist mir jetzt der Spaß vergangen. Ohne mich nochmal umzudrehen, nehme ich meinen Koffer, hänge meine Handtasche über die Schulter und rausche in die Flughafenhalle.

Vor dem Check-In Schalter ist bereits eine kurze Schlange. Ich stelle mich an. Endlich vergeht der Ärger über den Taxifahrer. Im relativ armen Ägypten will eben jeder so viel wie möglich Geld nach Hause bringen. Der Portier im Hotel hatte mich bereits vorgewarnt und mir geraten auf keinen Fall mehr als den verinbarten Preis zu zahlen. Ich schaue auf die Anzeigetafel meines Fluges. Es sind noch siebzig Minuten bis zum Abflug. Dann beginnt mein Herz zu pochen. Ich fühle meinen plötzlich rasenden Puls. Schweiß sprießt auf meine Stirn und befeuchtet meine Hände. Wo ist mein Rucksack?

In meinem schwarzen Rucksack befinden sich mein Firmen-Laptop und alle meine Hormone. Verzweifelt schaue ich mich um. Aber mir ist bereits klar, dass ich den Rucksack irgendwo vergessen habe. Tausend Gedanken rasen durch meinen Kopf. Ich bin mutterseelen alleine in Kairo. Das Taxi ist weg. Die Fahrt vom Hotel bis hierher hat 40 Minuten gedauert. Um zurück zu fahren fehlt mir die Zeit. Wenn ich die nächsten Spritzen nicht nehmen kann, fällt die komplette Kinderwunschbehandlung ins Wasser. Die ganze Wien-Planung, der Urlaub, die bezahlten Medikamente, die Hoffnung, alles war umsonst. Ich bin zu paralysiert um zu weinen. Sekunden lang stehe ich unter Schock. Irgendwann schaltet sich mein Hirn wieder ein. Zitternd nehme ich mein Mobiltelefon aus der Handtasche und wähle die erste Nummer aus der Anrufhistorie.

Fortsetzung folgt!

Montag, 25. Juli 2011

Der fliegende Teppich

Es ist Montag; der zweite Zyklustag und der zweite Tag auf Ägyptischem Boden. Gestern Abend war ich auf dem bunten Khan el-Kahlili Market. Der Markt und alle Geschäft hatten geöffnet, denn das Ägyptische Wochenende findet Freitag und Samstag statt. Nach Sonnenuntergang war es immer noch so warm, dass meine Kleidung an mir klebte. Dieses Wetter wünscht man sich sehnlichst für den zweiten Tag der Regelblutung, weil man nicht unterscheiden kann, ob die Hose an den Oberschenkeln klebt, weil man transpiriert, oder weil man bereits dringend das OB tauschen müsste. Die Verfügbarkeit von hygienischen Damenklos auf Ägyptischen Märkten erhöhte meine Verspannung. Trotzdem habe ich es geschafft einen fliegenden Teppich zu kaufen. Der Händler hat mir versprochen, dass dieser mich überall hinbringt. Um eine Frau vom Shoppen abzuhalten, muss sich der liebe Gott schon etwas Raffinierteres einfallen lassen!


Ich habe frei, denn heute ist offizieller Anreisetag. Eine Führung, welche die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Kairo an einem Tag besucht, geht gleich los. In 5 Minuten treffe ich mich am Hoteleingang mit dem Reiseführer. Zeit genug, um die Spritzenkur zu beginnen. Mein Stuhl steht schon vor der Balkontür, denn ich habe beschlossen, die erste Hormonspritze bei famoser Aussicht zu zelebrieren. Es ist wichtig die Hormone immer zur selben Zeit zu spritzen. Maximal erlaubte Abweichung sind 15 Minuten. Nach Durchsicht meines Kalenders für die nächsten zwei Wochen hatte ich mich für 9:15 entschieden.

Ich drehe den GonalF-Pin auf meine Dosis, ramme mir die Nadel in meine Bauchfalte, drücke ab und erlebe eine Überraschung. Der Kopf des Pins lässt sich nicht drücken. Ich versuche es etwas entschlossener, aber auch mit Gewalt lässt sich das Follikelstimmulierende Hormon nicht in meinen Bauch spritzten. Mist! Der Puregon-Pen hat doch auch so funktioniert.

Die Gebrauchsanleitung des Pens liegt auf dem Bett. Das sind drei Schritte zu weit weg, wenn die Nadel schon im Fleisch steckt. Trotzdem erhebe ich mich langsam. Es piekst. Ich mache einen großen Schritt auf's Bett zu. Es schmerzt. Meine rechte Hand, die den GonalF-Pen seit zwei Minuten wie einen kaputten Kugelschreiber hält, bekommt einen Krampf. Endlich kann ich mit der linken Hand die GonalF-Packung greifen. Einhändig fummele ich die Gebrauchsanleitung aus dem Karton und falte sie auf. "Schritt eins: Einheiten durch Drehen des Pens einstellen. Schritt zwei: Pen-Ende herausziehen... " Ok, da haben wir das Problem. Die Gebrauchsanleitung gleitet zu Boden, meine linke Hand zieht das Pen-Ende heraus, es geht beschwerlich aber es klappt, und schließlich sitzt der erste Schuss. Puh! 10 Minuten und ein paar Nerven habe ich verloren; jetzt nichts wie auf zum Reiseführer!

Fortsetzung folgt!


Sonntag, 24. Juli 2011

Hormone on Tour

"Hab ich auch alles?" Ich bin noch müde aber wach genug um nervös zu sein. Vier Tage bin ich unterwegs. Dafür benötige vier Fertigspritzen Decapeptyl, 450 Einheiten GonalF, 150 Einheiten Merional, Folsäure und natürlich meine Viagra Zäpfchen! Die Fertigspritzen müssen gekühlt bleiben. Dazu habe ich sie in der letzten Minute aus dem Kühlschrank genommen, in Zeitungspapier eingewickelt und in meinem Handgepäck verstaut. Das Taxometer zeigt genau sieben Euro an, die Digitaluhr genau sieben Uhr. Diese Harmonie schwappt auf mich über und ich lehne mich zurück.

"Scheiße, hab' ich auch die Spritzen für das Merional eingepackt?" Panik. Ich wühle im dunklen Taxi in meinem schwarzen Rucksack nach den dringend benötigten Utensilien und finde nur drei mal den gleichen Kugelschreiber. Ah, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich hatte ja die Spritzen in die Decapeptyl-Schachtel gestopft. Puh!

Heute ist Zyklustag eins, oder? Wann beginnt eigentlich genau die Regel? Gestern Abend hatte ich eine leichte Schmierblutung. Wäre ich vor dem Schlafen gehen nicht auf die Toilette gegangen, hätte ich es gar nicht gemerkt. Erst heute morgen hat sich die Periode deutlich angemeldet. Wenn heute schon Regeltag zwei wäre, müsste ich heute mit den Spritzen beginnen. Zweifel wühlen sich durch meinen Kopf. Warum hat mir das mein Frauenarzt oder meine Mama niemals genau erklärt? Ich will doch dieses mal alles richtig machen, aber der erste (oder zweite) Zyklustag riecht bereits nach Komplikationen.

Am Flughafen angekommen erwartet mich mein nächster persönliche Krimi. Bekomme ich die Hormone im Handgepäck durch die Sicherheitskontrolle? Mein Deo, die Zahnpasta und das Shampoo habe ich brav in den 1-Literbeutel gepackt. Der Beutel, mein Laptop und mein Gürtel fahren gemächlich auf dem schwarzen Förderband der Röntgenkontrolle entgegen. Dahinter schließt sich mutig mein Rucksack mit den Hormonen an. Angespannt schreite ich durch den Metalldetektor, der natürlich piepst. Das macht er immer, wegen meines BHs und dem Metallknopf an meiner Jeans. Während eine rabiate Dame routiniert meinen Körper abtastet, sehe ich wie mein Rucksack im Röntgengerät verschwindet. Ich starre auf das Gesicht des Kontrolleurs am Bildschirm. Es bleibt ungerührt. Kein Augenzwinkern, kein Stirnrunzeln, keine Lippenzucken. Zehn Sekunden später nehme ich mein Gepäck in Empfang. Wir sind durch!

Die Stewardessen im Flieger sind sehr nett aber auf die Kühlung von Medikamenten nicht vorbereitet. Einen Kühlschrank gibt es im Flugzeug nicht, teilt man mir mit einem strahlenden Lächeln mit. "Ja, und jetzt?", frage ich. "Haben Sie kein Eis?" Doch, Eis hätten sie schon, und man könne die Medikamente ja in eine Plastiktüte mit Eis geben. "Ja, genau!" gebe ich zurück, als ich den letzten Pfennig des Groschens noch fallen höre.

Während des Fluges versuche ich ein wenig zu schlafen. Jedesmal kurz bevor ich einnicke, weckt mich der Gedanke auf, dass ich bloß die Medikamente nicht im Flugzeug vergessen darf. Entspannung sieht anders aus, aber die Medikament vergesse ich auf diese Weise nicht. Kurz vor der Landung bekomme ich sie von den charmanten Damen zurück, wickle sie in das Zeitungspapier und stopfe sie wieder in meinen Rucksack. Mein Sitznachbar schenkt mir einen mitleidigen Blick. Was denkt er wohl?

Als ich aus dem Flughafengebäude gehe, trifft mich der Schlag. Kairo im Juli bedeutet Hitze. Mit dem Gedanken an meine sensible Fracht, steuere ich direkt den Taxistand an. Türkischer Honig und Pyramiden-Magneten in den Souvenierläden müssen warten bis ich zurückkomme! Ich schwinge mich in ein Taxi und gebe die Adresse meines Hotels an. Google Maps verrät mir, dass es vom Cairo Internation Airport etwa 39 Kilometer bis zu Hotel sind. Das müsste doch in 30 Minuten zu schaffen sein.

Eine halbe Stunde später bin ich nicht im Hotel sondern stehe im Stau. Es geht weder vor noch zurück. "Es ist doch Sonntag." denke ich, aber dann fällt mir ein, dass Sonntag in Ägypten ein Werktag ist. Erst nach einer Stunde stehe ich an der Rezeption meines Hotels. Wieder warte ich. Der Minibar-Kühlschrank ist schon so nah, aber die Autorisierung meiner Kreditkarte ist bereits zum dritten Mal fehlgeschlagen. Ich lege den empörtesten Gesichtsausdruck aus meinem Repertoire auf und es funktioniert. Man gibt mir ein Zimmer und bittet mich die Autorisierung am Abend nach zu holen. Zirka sieben Stunden nachdem die Hormone ihr zu Hause verlassen haben, kann ich sie endlich in den sicheren Hafenkühlschrank einschiffen. Es ist geschafft! Ich lasse mich auf mein Bett fallen und jetzt erst sehe ich den bombastischen Ausblick aus meinem Fenster auf den Nil und über Kairo.

Fortsetzung: Der fliegende Teppich!

Donnerstag, 21. Juli 2011

Leichen im Kühlschrank

Heute ist Donnerstag, der 26te Zyklustag. Meine Periode hat zum Glück noch nicht eingesetzt, wie am Montag befürchtet. Diese Woche arbeite ich an den Vorbereitungen für Ägypten. Die Präsentationen sind fast fertig; nur mein Chef muss sie noch absegnen. Aus dem Ägypten-Reiseführer und dem Internet weiß ich die wichtigsten Dinge über Klima, Politik, Wirtschaft und Kultur. Es wird trocken-warm, die Revolution findet momentan auf dem Tahir-Platz statt und man sollte dort nicht hingehen, neben der Landwirtschaft verstärkt sich in den letzten Jahren der Tourismus und den konservativen Ägyptern gefällt das gar nicht, Männer können bis zu vier Frauen haben.

Früher fand ich es ungerecht, dass ein Mann in anderen Ländern mit mehreren Frauen Sex haben darf und eine Frau nicht. Mit unerfülltem Kinderwunsch bekommt dies eine neue Dimension: Kann eine Frau keine Kinder bekommen, nimmt der Mann sich einfach noch eine Frau dazu. Das ist praktisch und auch viel günstiger als eine unwürdige Kinderwunschbehandlung. Außerdem leben in Ägypten alle Frauen und deren Kinder unter einem Dach. Von wem welche Kinder sind, ist hinterher gar nicht so wichtig. Jeder kümmert sich um jeden. Das finde ich wiederum toll. So endet eine unfruchtbare Ägyptische Frau nicht einsam mit "Essen auf Rädern" in "betreutem Wohnen".

Am meisten beunruhigt mich die Tatsache, dass ich am Sonntag ausreichend Medikamente und Spritzen in gekühltem Zustand nach Ägypten transportieren muss. Wie stelle ich es an, die empfindlichen Hormone bei durchschnittlich 28,3 Grad Celsius (im Schatten!) bis in den Minibar-Kühlschrank des Hotels in Kairo zu bringen?

Im Moment schlummern die Medikamente im Kühlschrank in unserer Küche. Damit sie nicht zufällig entdeckt werden, habe ich sie in einer Plastiktüte ins Gemüsefach gelegt. Wie eine Leiche die man im Keller vergräbt. Als letztens eine Freundin zum Frühstück bei uns war, habe ich noch ein paar Karotten als zusätzliche Tarnung auf die Tüte gelegt. Nicht, dass sie auf die Idee kommt, es befinden sich vielleicht noch leckere Aufstriche im Gemüsefach! Die restlichen Medikamente liegen in meinem Kleiderschrank hinter einem Stapel T-Shirts die ich nur selten anziehe. So muss sich ein Alkoholiker fühlen, der seinen Flachmann zu Hause vor seinem Partner verbirgt. Dieses Versteckspiel in den eigenen vier Wänden versaut irgendwie "Das Chi".

Fortsetzung: Hormone on Tour.

Montag, 18. Juli 2011

Arschkalt!

Heute ist Montag, der dreiundzwanzigste Zyklustag. Ich sitze im Esszimmer beim Frühstück und schaue in graue Sommerregenwolken. Lieber würde ich meinen Café in der Sonne auf dem Balkon genießen, aber die Sonne scheint nicht. Der Sommer will und will nicht kommen. Vor drei Tagen habe ich das sogenannte "Lange Protokoll" begonnen, das mit dem Spritzen von gekühltem Decapeptyl 0,1. beginnt. Anstatt der Milch für den morgendlichen Café Latte, hole ich mir jetzt als erstes eine Fertigspritze aus dem Kühlschrank. Da fängt der Tag ganz anders an: Mit dem Bewusstsein, dass alle Zeichen auf Kinderwunsch-Behandlung stehen.

Es ist seltsam die Behandlung eigenständig zu starten ohne einen Kinderwunscharzt in der Nähe zu haben. Nach dem Besuch am Freitag bei meiner Frauenärztin, rief ich in der Wiener Klinik an und teilte einer Dame mit, dass ich nun die „Downregulierung“ begänne, da keine Zysten an meinem Eierstock seien. Meine persönliche Betreuerin, Frau Schilcher, hatte an diesem Tag leider frei. Die Kollegin fand aber meinen „Fall“ im Computer und ermutigte mich loszulegen. Wäre dies meine erste Kinderwunschbehandlung, hätte ich vermutlich Angst etwas falsch zu machen. Angst die Spritze falsch zu setzen, Angst zur falschen Zeit zu spritzen, Angst die falsche Spritze zu setzen, Angst vor der Wirkung der Homone, und Angst weil Dr. Kaiser tausend Kilometer entfernt seine Sacher Torte isst.

Als ich vom Frühstückstisch aufstehe, spüre ich ein Menstruationsziehen im Unterleib. Das nehme ich erstmal hin. Aber das Ziehen wird stärker. Ich bekomme einen richtigen Krampf und anschließend den Eindruck, dass etwas nicht stimmt. "Hoffentlich kommen meine Tage jetzt nicht zu früh?“ denke ich und male mir bereits die Konsequenzen aus. „Nach dem Behandlungsbeginn mit Decapeptyl o,1, setzt in den nächsten Tagen die Regelblutung ein.“ lese ich im Beipackzettel. Geht es bitte etwas genauer?! Wenn ich z.B. am 25ten Zyklustag meine Tage bekomme, müssten wir den Urlaub und beide die Flüge umbuchen. Diese und weitere Gedanken bescheren mir erstmal eine kurze Stressattacke.

Während ich mich im Bad frisiere und das Radio netterweise beschwingte Musik spielt, kann ich meine wilden Gedanken wieder einfangen. Mit einem „Es wird schon gut gehen!“-Gefühl und einer Wolldecke auf dem Arm, verlasse ich unsere Wohnung. Vor ein paar Wochen habe ich mutig zwei Karten für das Open Air Kino gekauft. Der Titel des neuen Deutschen Kinofilms, den ich mir heute Abend mit Noerd ansehe, heißt „Arschkalt“. Passend zum Wetter!

Fortsetzung (Leichen im Kühlschrank)

P.S. Sorry, es passiert gerade so viel in meinem Leben. Ich komme mit dem Schreiben nicht hinterher....

Freitag, 15. Juli 2011

Der Spritzen-Auftakt

Es ist Freitag morgen, der 19te Zyklustag, und ich sitze im Wartezimmer meiner Frauenärztin. Die Wartezeiten als Kassenpatientin grenzen zwar an eine Unverschämtheit aber ich warte gern. Ich habe mich bereits als Teenager entschieden nicht mehr zu einem männlichen Gynäkologen zu gehen. Da sehr viele Damen nach diesem Prinzip leben, sicher jede aus einem anderen Grund, sind Gynäkologinnen-Sprechstundentermine eben knapp. Den Frauenarzt, der mir mit unschuldigen 14 Jahren das Vertrauen nahm, suchte ich mit meiner Mutter auf, weil ich meine Periode fast jede Woche bekam. Für den Sport, den ich damals mit Leidenschaft ausübte, war das ein Problem. Nachdem ich dem Arzt dies geschildert hatte, sagte er zu unserem Entsetzen: "Wenn ich Dir die Pille verschreiben soll, dann sag's einfach direkt." Gedemütigt verließen wir für immer seine Praxis. Seitdem zweifle ich stark daran, dass Männer auch nur im Entferntesten wissen, was mit uns Frauen los ist. Daran ändern auch kein Medizinstudium oder jahrelange, anatomische Untersuchungen der weiblichen Geschlechtsorgane etwas.

Nach einer Stunde und zehn Minuten bin ich dran. Meine Frauenärztin hat mich nicht mehr gesehen, seitdem sie uns im letzten Jahr die Kinderwunschklinik empfohlen hat. Sie hört sich ruhig die Tortur der letzten drei Behandlungen an, erfährt über die Unterschiede der Deutschen und Österreichischen Gesetze und ist schließlich bereit beim Auslandsversuch mitzuspielen. Ihr Job ist es heute, mich auf Zystenlosigkeit zu überprüfen. Ich komme mir schon fast selber wie ein Arzt vor. Ein Hobby-Arzt, der leider kein Ultraschallgerät zu Hause hat und deshalb herkommen muss. Die Untersuchung verläuft gut. Meine Eierstöcke sind zystenfrei. Das bedeutet, dass ich ab morgen mit den Decapeptyl-Spritzen für die Downregulierung beginnen kann.

Der nächste Termin ist erst in über zwei Wochen. Ebenfalls bei meiner Frauenärztin in Deutschland. "Wenn ich wiederkomme, kann ich hoffentlich ganz viele Follikel vorweisen." Mit diesen Worten verabschiede ich mich von ihr und bekomme ein aufmunterndes aber kühles Lächeln zurück. So richtig viel Zeit hat sie sich nicht für mich genommen. Ich überlege, ob ich das einem männlichen Kollegen übel genommen hätte. Wahrscheinlich! Während ich meine Einstellung zu männlichen Gynäkologen überdenke, kommt die nächste Patientin ins Wartezimmer. Es ist nicht einmal mehr ein Sitzplatz für sie frei.

Fortsetzung: Arschkalt!

P.S. Ja, ich weiß das Ergebnis schon. Wenn ich es Euch aber jetzt schon mitteile, kann ich nicht mehr wirklich gut darüber schreiben. Sorry. Bitte habt Geduld.

Montag, 11. Juli 2011

Embryonenschutzgesetz-Dynamit

Mein Radio-Wecker begrüßt mich um 8 Uhr mit dem Supertramp-Klassiker "It's raining again." Und tatsächlich, als ich unsere 100%-Verdunklungsgardine zurückziehe, erblicke ich Regenwolken. Es wundert niemanden mehr in diesem Sommer. Mein Hirn überrumpelt mich zudem mit einer schwierigen Frage. "Wenn die Kinderwunschklinik in Österreich meiner Krankenkasse bescheinigt, dass sie die Behandlung nach Deutschen Gesetzen durchführt, welchen Vorteil haben wir dann eigentlich von der Behandlung in Österreich?" Mir wird heiß und kalt. Wir werden ja wohl nicht diese ganzen Umstände machen, um am Ende die gleiche Behandlung durchzuführen wie in Deutschland?

Ich krame nochmal die Bestätigung der österreichischen Klinik an meine Krankenkasse raus. "Bei Herrn und Frau Fruchtig, ist die Behandlung nach Deutschen Gesetzen geplant." Mist! Dann fällt mir der Vertrag der Klinik in die Hände, den Noerd und ich unterschrieben haben. Der letzte Absatz wiederspricht im Fettdruck: "Für Deutsche Paare: Wir sind ausdrücklich damit einverstanden, dass die Behandlung nach österreichischem Gesetz durchgeführt wird. Sollten unsere Krankenkassen in Deutschland deshalb die Zahlung verweigern, kommen wir für die kompletten Behandlungskosten selbst auf." Ich bin verwirrt. Noerd, der sich im Badezimmer schlaftrunken rasiert, ebenfalls. Wir entscheiden uns nach einem starken Kaffee die Klinik in Wien anzurufen.



"Kinderwunschklinik, guten Morgen."
"Ehepaar Fruchtig hier, guten Morgen Frau Schilcher! Wir möchten in ein paar Tagen die Hormonbehandlung beginnen, haben aber noch eine Frage zum Embryonenschutzgesetz."
"Ja, hallo Frau Fruchtig. Fragen's nur." wienert Frau Schilcher freundlich zurück.
"Sie haben uns bestätigt, dass die Behandlung nach Deutschen Gesetzen geplant ist. Aber im Vertrag steht, dass sie ausschließlich nach Österreichischen Gesetzen behandeln."
Das scheint für Frau Schilcher nicht wiedersprüchlich zu sein, denn sie antwortet mit einem knappen "Ja, genau."
"Ja, aber wie wird denn nun behandelt? Nach Deutschem oder Österreichischem Recht?" Diese Frage ist unausweichlich klar.
"Nach Österreichischem." kommt es etwas zögerlich zurück.
"Aha. Sehr gut." antworte ich "Das wollen wir ja auch. Das heißt alle befruchteten Embryonen werden bis zum Blastozystenstadium weiterkultiviert."
"Ja, genau."
Noerd nickt mir erleichert zu.
"Das heißt aber auch, dass wir unsere Krankenkasse anschummeln?"

Nach dem dritten, jetzt leiseren "Ja, genau." wird mir klar, dass dieses Thema auch für Frau Schilcher etwas heikel ist. Ich wundere mich, dass sie uns diese brisante Auskunft überhaupt am Telefon gibt, obwohl wir uns noch nie persönlich gesehen haben. Wir könnten ja auch von der Presse sein oder verdeckt für eine Deutsche Krankenkasse ermitteln. Schließlich fügt Frau Schilcher noch hinzu:
"Falls die Krankenkasse nach der Behandlung noch Fragen hat, wird sie sich sowieso an Sie richten und nicht an uns."
"Hm, das verstehe ich nicht. Was meinen sie damit?"
"Na, dass die Krankenkasse Sie nach der Behandlung eventuell noch einmal anschreibt. Sie würde nie mit uns direkt in Kontakt treten."
"Aha, und je nach Verlauf geben Sie dann Auskunft über die Behandlung."
"Ja, genau."
"Ok, danke erstmal, Frau Schilcher. Uns war vor allem wichtig, dass Sie die besten Embryonen für den Transfer aussuchen."
"Ja, gern. Frau Fruchtig. Bitte rufen Sie uns an, wenn Ihre Regel einsetzt, damit wir die Behandlung hier vorort einplanen können."
"Mach, ich." gebe ich erleichert heiter zurück. "Am Freitag fange ich mit der Downregulierung an. Der erste Zyklustag wird dann so um den 23./24. Juli liegen." Wow, ich habe meinen Biorythmus im Kopf, was!
"Ok. Dann bis ..."

Während Frau Schilcher sich freundlich verabschiedet, fällt mir ein, dass ich dringend einen Termin bei meiner Frauenärztin für kommenden Freitag machen muss. Mein Behandlungsplan sieht am 20ten Zyklustag einen Ultraschall vor, bei dem ich auf Zysten untersucht werden muss. Nach dem ich auch das telefonisch erledigt habe, setzte ich mich mit Noerd nochmal in Ruhe an den Frühstückstisch zurück.

Er sagt "Na, dann ist ja alles gut." und lächelt mich an.
"Ja." antworte ich und versinke verliebt in seine schönen, braunen Augen.
"Das mit den Gesetzen ist ja irgendwie ein Witz."
"Hm, ja."
"Wer belügt dann eigentlich die Deutsche Versicherung. Wir oder die Klinik?"
"Gute Frage."
"Nicht, dass wir hinterher einen Versicherungsbetrug am Bein haben."
"Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht." Bei dem Gedanken darab wird mir schlecht.
"Oder sind wir sowieso schon kriminell, weil wir für die Behandlung ins Ausland gehen?"
"Ich kenn mich in diesen rechtlichen Sachen nicht so aus."

Beiderseitiges Schweigen.

"Ich glaube, wir stellen uns besser darauf ein, dass wir diesen Versuch komplett selbst zahlen müssen." sagt Noerd schließlich, worauf er von mir nur ein versunkenes Nicken zurück bekommt. Ich fühle mich wie auf einer steilen Rodelbahn, die ich zu schnell hinabbrause, obwohl ich nicht weiß, was hinter der nächsten Kurve kommt.

Fortsetzung: Der Spritzenauftakt.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Die Kinderwunsch-Zwangsjacke

Kennt Ihr dieses Gefühl, es satt zu haben, sein ganzes Leben nach dem Kinderwunsch auszurichten? Wir können keinen Urlaub planen, weil ich Flugreisen während der Schwangerschaft vermeiden will. Ich kann die Einladung zum Weinfest bei Freunden nicht annehmen, weil ich nicht auf ein Weinfest gehen würde, wenn ich schwanger wäre. Wir können mit unserem gesparten Geld, keine Anschaffungen machen, weil wir nicht wissen, ob wir noch weitere Versuche finanzieren müssen. Ich kaufe mir keine neuen Kleidungstücke mehr, weil sie mir nicht mehr passen, wenn ich schwanger bin. Ich akzeptiere die Arbeitsbedingungen meiner Firma ohnmächtig, weil mir eine neue Stelle zusammen mit einer Kinderwunschbehandlung zu aufregend wird.

Heute hatte ich mal keine Lust auf die Kinderwunsch-Zwangsjacke. Ich habe mich für die Dienstreise nach Kairo entschieden. Das tat ich bereits vor dem Gespräch mit Noerd und Dr. Kaiser. Die beiden wichtigsten Männer in meinem Leben hatten zum Glück auch keine Einwände. Dr. Kaiser meinte nur, dass ich meine Reisen so planen soll, dass mir die Fruchtblase nicht im Flugzeug platzt. Noerd hat sich für mich gefreut und mir geraten mir auch die Pyramiden zu besuchen. Ich hab' Euch lieb, Jungs!

Als ich den 24., 25. und 26. Juli 2011 in meinem Firmen-Kalender als "out-of-office" eintrage, fällt mir ein, dass ich dringend auch meinen Wien-Urlaub beantragen muss. Aber von wann bis wann? Die genauen Daten weiß ich leider erst, wenn meine Periode einsetzt. Das ist meist nach 26 bis 28 Tagen. Ich stelle mir das Gesicht meines Chef's vor, wenn ich ihm sage: "Ich hätte gerne ungefähr vom 1. oder 3. August bis zum 9. oder 11. August Urlaub. Geht das?" Seine Fragen, die darauf folgen, möchte ich erst recht nicht beantworten. Ich entscheide mich notgedrungen zwei ganze Wochen Urlaub zu nehmen, also vom 1. bis 12. August. Was für eine Verschwendung!

Nachdem ich meinen Urlaubsantrag ausgefüllt habe, bestelle ich mir im Internet den Kultur(-schock)führer für Ägypten. Die Stellung der Frau in Ägypten interessiert mich und ist für das Geschäftstreffen sicher lebenswichtig. Auf der Web-Seite des Auswärtigen Amts informiere ich mich über die Sicherheit in Ägypten. Seit dem Sturz von Mubarak im Januar ist es ruhiger im Land. Gut! Zufällig entdecke ich, dass die Pyramiden in einem Stadtteil von Kairo stehen. Ich dachte immer, man müsste ein paar Tage auf Kamelen durch die Wüste reiten, um sie zu sehen. Dann kann ich mir dieses Weltwunder ja wirklich ansehen! Das Reisefieber hat mich gepackt. Juhu, es gibt mein Leben - trotz Kinderwunsch - noch!

Fortsetzung: Embryonenschutzgesetz-Dynamit

Dienstag, 5. Juli 2011

Das unerwartete Angebot

"Frau Fruchtig es gibt am 25. Juli einen Termin bei unser Tochterfirma in Kairo, ich hätte gerne, dass Sie den Termin wahrnehmen. Wäre das möglich?"
"Ja, natürlich." schießt es aus meinem nickenden Gesicht. Sonst schickt er mich nach Hintertupfingen und nach JDW; dieses Reise-Schmankerl, das er mir gerade anbietet, ist normalerweise Chefsache.
"Gut, vielen Dank. Am 25. Juli ist nämlich mein fünfter Hochzeitstag."
"Aha. Glückwunsch."
"Dann mache ich den Termin fest."
Beim "Ja, gern." dämmert mir bereits Schlimmes.
"Schön." sagt er im Umdrehen und geht mit zufriedenen klappernden Schuhsohlen zurück in sein Büro.
Sofort öffne ich per Doppelklick den Behandlungplan von Dr. Kaiser. "Hoffentlich, ist der Termin noch vor der Hormonbehandlung."
Viel zu langsam startet das Programm, von dem ich hoffe, dass es mir meine Befürchtungen nimmt. Endlich, sehe ich den Plan vor mir. Mit dem zweiten Zyklustag beginnt die Hormonbehandlung und das vorraussichtliche Datum ist der ...
... Mist!! Montag, der 25. Juli.

Tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf. "Vielleicht bekomme ich meine Periode später? Nein, sie kommt immer pünktlich. Ich muss meinem Chef wieder absagen! Aber die schöne Reise nach Kairo. Er sagte nicht Würselen*, sondern Kairo!! Ich war noch nie in Ägypten. Pyramiden? Bei so einer Reise bekommt man so viele Flugmeilen, dass man davon einen Prämienflug buchen kann. Und einen Flug nach Wien brauche ich ja auch noch. He, Franka. Jetzt nimm Dich mal zusammen! Was ist wichtig für Dich? Diese blöde Reise oder ein gesundes Kind zur Welt zu bringen? Geh' zu Deinem Chef und sag die Reise ab! Aber diese Reise ist auch ein Vertrauensbeweis von meinem Chef. Auf so etwas warte ich seit Monaten. Und vielleicht ist es gar kein Problem, die Hormonbehandlung in Kairo zu beginnen?.." Mein Wille dreht sich noch einige Minuten orientierungslos im Kreis weiter.

Als kleines Ablenkungsmanöver durchforste ich meinen Kalender nach Eintragungen, die außer dieser Dienstreise eine reibungslose Kinderwunschbehandlung gefährden könnten. Eine Geburtstagsparty bei einer Freundin in Dingsda sage ich ab. Ich habe mir vorgenommen, vor und während der Hormonbehandlung keinen Alkohol zu trinken. Ein "Nein Danke!" heute ist einfacher als zwanzig "Nein Danke!" zu köstlichem Aperol-Spritz am Partyabend. Meinen Sportkurs sage ich für nach dem berechneten Transfertermin ab. Meinen Mädelsstammtisch jeden zweiten Mittwoch sage ich auch schonmal ab und die Rhein-Tour** mit Noerds Freunden sowieso.

Ich fühle mich schon besser, aber mein eigentliches Problem ist noch da. Soll ich? Soll ich nicht? Soll ich? Soll ich nicht? Arghh. Ich werde einmal drüber schlafen, mit Noerd in Ruhe sprechen und morgen früh den Fachmann, Dr. Kaiser, fragen. Froh darüber, wenigstens einen vernünftigen Entscheidungsfindungs-Plan zu haben, kann ich endlich weiterarbeiten. Mein Kinderwunsch hat meine Firma mal eben wieder 30 Minuten Leerlauf gekostet. Mahlzeit!


*Entschuldigt bitte, liebe Würselen-Fans und Beheimateten.
** Rhein-Tour = In jede Kneipe mal 'rein', ein Bierchen trinken und schau'n was passiert.