Montag, 20. März 2017

"Das Bewerberverfahren" oder "Die Inquisition vom Amt"

Da sitzen wir also nun bei Renate Rottenmeier im Büro. Sie hat uns jedem ein Wasser und einen Stuhl angeboten und beides nehmen wir dankbar an. Obwohl Frau Rottenmeier immer noch freundlich lächelt bin ich wieder konzentriert und etwas nervös. Man hat mir mal gesagt, dass ich böse aussehe, wenn ich konzentriert gucke also lege ich ein künstliches Lächeln auf mein Gesicht.

Natürlich haben wir uns vorbereitet auf das Gespräch. In den Internet-Foren war zu lesen, dass die Jugendämter es nicht gerne hören, wenn man noch in Kinderwunschbehandlung ist und parallel die Bewerbung zur Aufnahme eines Kindes anstößt. Der eigene Kinderwunsch sollte abgeschlossen sein, damit man das angenommene Kind nicht als Ersatz für ein leibliches Kind sieht. 
Das "a" in Kinder steht für ausschlafen!
Mal ganz ehrlich? Warum sonst sollten kinderlose Paare ein Kind aufnehmen? Wegen seniler Bettflucht? 

Außerdem hatten wir gelesen, dass Paare über 40 keine Kinder mehr adoptieren können. Ich war gerade noch 39; dass wollte ich heute betonen. Noerd ist jünger als ich, er sollte also kein Problem sein.


"Warum möchten Sie ein Kind aufnehmen?" war dann auch eine der ersten Fragen von Frau Rottenmeier.

"Wir haben versucht, leibliche Kinder zu bekommen. Am Ende auch mit künstlicher Befruchtung." begann ich. "Das hat leider nicht funktioniert. Wir möchten aber gerne als Familie leben und wollen deshalb den Weg der Adoption gehen." spulte ich meinen zurecht gelegten Satz herunter.

"Und haben Sie den Wunsch nach einem leiblichen Kind abgeschlossen?" frage Frau Rottenmeier dann prompt und jetzt sah ich in ihrem prüfenden Blick doch so etwas wie die Inquisition vom Amt. Ich wollte und konnte es nicht wirklich aufgeben auf ein leibliches Kind zu hoffen. Weil es mir die Sprache verschlug, antwortete jetzt Noerd. Er hatte es mit ansehen müssen, wie es mir die letzten Monate immer schlechter ging. Wie ich nach jedem Versuch immer mutloser und trauriger und auch physisch kränker wurde (Bluthochdruck, Schlaflosigkeit, Panik-Attacken). 

"Weitere Versuche kommen für uns nicht in Frage", sagte Noerd mit fester Stimme. "Natürlich sind wir immer noch traurig darüber, dass es mit einem leiblichen Kind nicht geklappt hat. Die Trauer wird vielleicht nie weg gehen, aber wir möchten gerne ein Kind aufwachsen sehen. Wir möchten einem Kind, das kein Glück hatte mit der Umgebung in das es hineingeboren wurde, eine Chance geben." Das hat er schön gesagt und es war die Wahrheit, aber es fühlte sich an wie eine Verkaufs-Floskel im Verhörzimmer von Frau Rottenmeier.

Nachdem wir diese - für uns sehr persönlichen und unangenehmen - Fragen hinter uns gebracht hatten ging es endlich um den Weg zur Adoption. Wir bekamen eine Check-Liste in die Hand gedrückt und einen Fragebogen, den wir zu Hause in Ruhe ausfüllen sollten. Das Bewerber-Verfahren bestand aus:
  • 6 - 8 Gesprächen bei uns zu Hause mit Frau Rottenmeier, jeweils im Abstand von ca. vier Wochen.
  • Einem Seminar zu Pflege und Adoption von der Deutschen Lebenshilfe
  • Unzähligen Unterlagen die zusammen zu tragen waren (eigener Lebensbericht, Partnerbeschreibung, Polizeiliches Führungszeugnis, Ärztliche Bescheinigung, Eigene Werthaltung, Fotos, Nachweis über vorhandene Zahlungsverpflichtungen, Verdienstbescheinigung , Auszug aus dem Familienbuch und das Ausfüllen des o.g. Fragebogens.
Klar, wir haben so etwas erwartet, aber wie kann man sich da NICHT wie bei der Inquisition fühlen? Auch Frau Rottenmeier merkt, dass wir ein wenig angespannt sind. Sie hat jetzt wieder dieses nette Lächeln und zeigt uns zur Auflockerung ein paar Bewerbungen von anderen Paaren. Ich entdecke eine Bewerbung die sehr bunt ist und selbst gebastelte Karten und Foto-Kollagen enthält. Das sieht süß aus und ich stelle mir vor, dass ich einmal mit einem / meinem (?) Kind so etwas bastele. 

"Interessieren Sie sich auch für Pflege?" fragt Frau Rottenmeier währen wir durch die Ordner blättern.
"Nein, eigentlich nicht." antworte ich spontan.
"Wir wünschen uns eigentlich, dass unser Kind fest zu uns gehört, und nicht nach einiger Zeit wieder aus unserer Familie genommen wird."
"Das denken viele Paare," sagt Frau Rottenmeier "aber ca 50% der Pflegschaften münden in einer Adoption und die Aussicht, dass sie von Anfang an ein Kind zur Adoption bekommen ist sehr gering."
Bäng!  Dieser Satz sitzt und wird uns in den nächsten Wochen noch viel zum Nachdenken bringen.

Eher mechanisch, mit dem letzten Satz von Frau Rottenmeier noch im Kopf, suchen wir im Kalender nach einem Termin für den ersten Hausbesuch. Als der gefunden ist, sagt Renate Rottenmeier: "Haben Sie denn noch Fragen?"
"Ja," sage ich mutig "stimmt es, dass man mit 40 keine Kinder mehr adoptieren kann?"
"Nein," sagt Frau Rottenmeier, "es gibt keinerlei festgelegte Altersgrenzen. Es wird versucht, die Pflege und Adoptivkinder in einem normalen Umfeld aufwachsen zu lassen. Bei älteren Paaren, werden also vielleicht schon etwas ältere Kinder untergebracht, bei jüngeren dann jüngere Kinder. Aber auch das ist von Fall zu Fall verschieden."

Wenigstens etwas positives zum Schluss! Und nachdem wir schon einen Termin für den ersten Hausbesuch haben, scheinen wir uns ja grundsätzlich als Bewerber zu eignen. Wir verabschieden uns und gehen zügig zum Auto; Noerd und ich müssen zurück zur Arbeit, zumindest physikalisch. In Gedanken bleiben wir bei Frau Rottenmeier, einem Kind, dass vielleicht mal zu uns gehören wird (lebt es vielleicht gerade schon irgendwo?), den bunten Bewerbungen und der Frage wie wohl ein Hausbesuch von der Inquisition abläuft.

Donnerstag, 16. März 2017

Renate Rottenmeier

Drei Wochen später, Dienstagmorgen 8 Uhr.

Was ziehe ich an?

Ich will beim Jugendamt einen guten, ersten Eindruck machen und entscheide mich für meinen blauen Business-Anzug mit weißer Bluse. Ein prüfender Blick in den Spiegel sagt: "Seriös!" Ich habe dieses Outfit jederzeit sauber für Messen oder Kundenbesuche in meinem Kleiderschrank hängen. Oft schaffe ich es die Kunden damit um den Finger zu wickeln und ihnen etwas zu verkaufen.

Moment! Business-Look? Kundenbesuch? Verkaufen? Ich bin doch auf dem Weg zum Jugendamt und will dort nicht meine Produkte verkaufen, sondern zeigen, dass ich eine tolle Mami bin. Also raus aus den Klamotten. Spontan nehme ich meinen bunten Lieblings-Rock aus dem Schrank. Der hat vier Farben, die sich beißen: rot, pink, blau und türkis. Herrlich. Dazu die schwarzen Stiefel und ein schwarzes Oberteil. Die Haare noch kurz von seriös auf Franka umstylen und ein neuen Blick in den Spiegel wagen.  Dort sehe ich Franka. Das gefällt mir besser.



Noerd sieht wie immer gut aus. An der Wohnungstür sehe ich einen attraktiven Mann und Bilderbuch-Papi in spé (hoffentlich!). "Er geht mit mir auch diesen Weg", denke ich und sage: "Danke, dass du da bist!"

Um 10 vor 10 betreten wir Hand-in-Hand das Jugendamt unserer Stadt. Ein Herr in dunklem Anzug, Brille und Aktentasche kommt mir entgegen. Der Leiter des Jugendamts? Ich fühle mich plötzlich unsicher in meinem Franka-Look und wünsche mich hinter meine sichere Business-Fassade zurück. Zimmer 11, hier ist es. Renate Rottenmeier, steht auf dem Namensschild. Wir sind zu früh und schauen uns noch ein wenig um.  An einem Aushang entdecke ich eine Internet-Adresse über Pflege und Adoption: Moses Online. Ich notiere mir die URL und schaue weiter.

Ein Spielzimmer für Kinder geht vom gleichen Gang ab. Welche Kinder spielen hier wohl? Kinder, die aus ihrer Familie herausgenommen werden mussten? Wie sieht es in diesen Familien wohl aus? Trinken die Eltern? Schlagen sie ihre Kinder? Warum und wann genau schaltet sich das Jugendamt ein?

Eine dynamische Mitt-Vierzigerin, mit buntem Rock, schwarzen Stiefeln und einer bunten Filz-Handtasche über der Schulter, kommt mit einem Café in der Hand um die Ecke gerauscht und reißt mich aus meinen Gedanken. "Hallo!" sagt sie freundlich, "Ich bin Frau Rottenmeier. Eheleute Fruchtig?" Sie strahlt mich an. Ich strahle zurück. "Ja", sage ich und alle Ängste sind verflogen.

Fortsetzung <"Das Bewerberverfahren" oder "Die Inquisition vom Amt">

Dann adoptieren wir eben

"Dann adoptieren wir eben", sagte Noerd nach dem letzten Versuch
in der Kinderwunsch-Klinik in Österreich.
Dieser Satz ist wie ein süßes Bonbon mit bitterem Beigeschmack.

Will ich das wirklich?
Kann ich ein Kind von einer fremden Frau und einem fremden Mann annehmen wie mein Eigenes?
Will ich die Strapazen der Kindererziehung auf mich nehmen, für ein Kind, dass nicht mein leibliches Kind ist? Wird das Kind mich jemals lieben wie seine leibliche Mutter?
Was wird es für ein Kind sein? Ein farbiges aus Äthiopien, ein rot-haariges oder schwarz-haariges, dem man gleich ansieht, dass es nicht mein Kind sein kann? Wie würde ich mich damit fühlen?
Und überhaupt: Kann ich den Wunsch ein leibliches Kind zu bekommen jemals wirklich loslassen?

Ich weiß es nicht!

Der einzige Ausweg scheint mir erstmal mehr darüber zu erfahren. Nach ein wenig Internet-Recherche ist klar, wir müssen uns beim Jugendamt unserer Stadt vorstellen. Dort bekommen wir Informationen über das Thema Adoption und können alle Fragen stellen, die uns auf dem Herzen liegen. Hört sich nach einem guten Start an. Ich wähle die Nummer vom Jugendamt...

"Rottenmeier!"
Ach du meine Güte, was ist das für ein Name.
"Franka Fruchtig, hier. Wir interessieren uns für Adoption. Sind wir bei Ihnen richtig?"
"Ja, Frau Fruchtig. Schön, dass Sie sich melden. Ich kann Ihnen einen Termin in drei Wochen anbieten, Dienstag um 10 Uhr bei mir im Büro."
Na, klar, beim Amt ist es wie beim Arzt ohne Privatversicherung - man muss mit Wartezeiten rechnen. Dass sich das noch viele Jahre so hinzieht, ahne ich zu dem Zeitpunkt nicht.
"Gut," sage ich, ohne zu wissen ob es für Noerd passt (es muss passen!) "wir kommen.", verabschiede mich und lege auf.

Und da ist es. Ein positives Gefühl. Neugier. Ein neuer Weg. Öffnet sich hier für unser Leben eine neue Tür? Ich kann es nicht erwarten Noerd am Abend von unserem Termin beim Jugendamt zu erzählen.

Fortsetzung <Renate Rottenmeier>

Freitag, 21. September 2012

Ich bin eine Frau

Was war das wohl für ein Seminar, nach dem ich mich wieder als begehrenswerte und vollwertige Frau fühle, obwohl ich keine Kinder bekommen kann? Was mag das für ein Wochenende gewesen sein, bei dem man tanzend den Tag beginnt? Bei dem man am dritten Tag, alle Nackenverspannungen los ist. Drei wundervolle Tage nach dem man zum Feierabend nicht mehr zu Bier oder Zigaretten greifen will, sondern sich lieber auf den Boden setzt und bewusst atmet. Ich will jetzt Dinge für mich tun und nicht mehr meine Energie für die Bedürfnisse anderer verschenken. Von einem Über-ich war die Rede, dass man spöttisch in die Schranken weisen darf, wenn es von mir verlangt alles besser und schneller zu machen oder dringend eine Diät zu starten.

Es gab einen Moment in dem durfte ich einfach nur da sein. So wie ich bin. Ich musste nichts tun oder sein, hatte keine Anforderungen zu erfüllen. Ich lag auf dem Rücken und atmete tief ein. Ein fremder Mann hielt meinen Kopf und lächelte mich dabei an. Dabei erfuhr ich Glück, Geborgenheit, Freiheit, ja Wollust, sodass mir die Tränen über die Wangen liefen.
Ich empfand diesen Mann vorher als bedrohlich, denn er sagte mir, dass er mich sehr sympathisch findet und mich gerne mal umarmen möchte. Ich stimmte zu aber ich fühlte mich unwohl. Sekunden lang drückte er seine Brust gegen meinen Busen. Zu lang. „Was nimmt der sich raus?“, dachte ich „der weiß doch, dass ich mit meinem Mann hier bin.“ Tatsächlich, darf dieser Mann mich jetzt jederzeit umarmen, so lange er will. Ist das nicht verrückt? Ich habe diesen Mann nackt gesehen und so seine Zartheit, Zerbrechlichkeit, Schönheit und Liebe erkannt. Es ist danach unmöglich diesen  Menschen abzuweisen. Im Gegenteil, man zieht sich zu ihm hingezogen. Wer hätte von Euch bei dieser Beschreibung an ein Tantra-Seminar gedacht?

Ich habe dieses Seminar Noerd zum Geburtstag geschenkt, ohne zu wissen, was mich dabei erwartet. Er hat es angenommen, ohne zu wissen, was ihn erwartet oder was ich von ihm erwarte. Was habe ich denn eigentlich erwartet?
Wir haben jetzt fünf Jahre Sex lang gehabt mit dem Ziel ein Kind zu bekommen. Dabei haben wir darauf geachtet, dass er sein Sperma möglichst nah an meinen Gebärmuttermund schießt, ich dabei möglichst auf dem Rücken liege, nach der Ejakulation möglichst noch ein wenig liegen bleibe und das alles möglichst auf Kommando am 11., 12. und 13. Zyklustag. Damit sollte Schluss sein. „Ein Tantra-Seminar könnte da neue Impulse geben.“, hoffte ich und dachte an prickelnde Massagetechniken, die ich aus dem Fernsehen kannte.

Entgegen aller Erwartungen, habe ich Tantra als eine Lehre erfahren in der man sich selbst und andere als liebesbedürftige Wesen erkennt. Ich bin noch ganz verwirrt und muss viele meiner alten Denk-Schubladen über Bord schmeißen; noch viele Atemzüge auf meinem neuen Sitzkissen machen; mir viel Zeit nehmen, bei der Einordnung von Situationen und der Beurteilung von  Menschen. Nach knapp zehn Jahren Beziehung, habe ich Noerd neu kennen gelernt und dadurch noch tiefere Gefühle für ihn entdeckt. Ich sage Euch, das löst ein ganz anderes Feuerwerk aus als eine Penis-Massage!
Ich möchte mich bei einer ganz lieben Freundin bedanken, die mir dieses Seminar empfohlen hat. Wir haben schon so viel Großes gemeinsam erlebt. Schön, dass es Dich gibt.