Samstag, 18. August 2012

Über Kinderwunsch lesen

So muss es für Euch sein, meinen Blog zu lesen. Das Buch „Ungestillte Sehnsucht – Wenn der Kinderwunsch uns umtreibt“ war der erste veröffentlichte Text, den ich über Kinderwunsch gelesen habe. Und es tat mir gut. „Jedes fünfte Paar in Deutschland ist ungewollt kinderlos“, dieses Zitat steht im ersten Artikel meines Blogs. Aber die Zahl allein ist unpersönlich. Persönlich sind die Geschichten der Menschen die hinter dieser Statistik stecken. Sie machen einem deutlich, dass man nicht alleine ist. Millay Hyatt hat diese Geschichten aufgeschrieben. Danke, Millay! Jedes Buch, jeder Blogeintrag, jede Fernsehreportage, jedes öffentlich geführte Gespräch hilft uns aus unserer Einsamkeit herauszukommen und aus dem Tabu „Ungewollte Kinderlosigkeit“ ein gesellschaftliches Thema zu machen. Ein menschliches Thema.

An einem schönen Tag, an dem es kein Tabu mehr ist, können wir im Restaurant einfach sagen: „Für mich bitte kein rohes Ei / rohen Fisch / Alkohol / Koffein / Rohmilchkäse / etc. ich bin vielleicht schwanger.“ Dann wird der Kellner fragen: "Was heißt denn vielleicht?"  Darauf antworte ich: "Durch künstliche Befruchtung, natürlich. Ich bin in der Warteschleife" Schließlich der Kellner: "Ach so! Wie aufregend. Dann alles Gute. Bei meiner Kollegin hat es auch geklappt...."

Aber so weit sind wir leider noch nicht. Diese Woche wollte ich das Buch mit auf eine vierstündige Zugfahrt nehmen. Im letzten Moment entschied ich mich dagegen. Warum? Weil der Titel so „eindeutig“ ist. Alle Mitreisenden würden sofort ahnen, dass ich kinderlos bin. Ohne meinen Vornamen zu kennen, wüssten sie von meiner größten Verletzlichkeit. Ich habe kurz darüber nachgedacht, einen Einband zu basteln, aber dann käme ich mir vor, wie ein Mann der im Supermarkt eine "Auto, Motor und Sport" nur deswegen kauft, um sie an der Kasse über den Playboy zu legen. Ich ließ das Buch auf dem Nachttisch liegen.

Schließlich habe ich Millay’s Buch während der letzten Wochen abends im Bett gelesen. Ich fand darin Themen, die mir sehr bekannt vorkamen, z.B. die Enttäuschung nach erfolglosen Kinderwunschbehandlungen oder die Zweifel, als wir zum ersten Mal ernsthaft über Adoption gesprochen haben. Der Satz "Wenn mal aber einmal in den Sog der Erfüllungsmaßnahmen geraten ist, kann es schwer sein zu erkennen, wie weit zu weit ist." passt wie die Faust auf's Auge zu meinem Artikel "Gebährmutter-Leasing". An ein paar Stellen dachte ich: „Gut, dass ich das schon verarbeitet habe.“  und fühlte mich bestärkt.

Dann wurde ich von Themen überrascht, über die ich noch nie nachgedacht hatte, z.B. darüber welche Leere ein Kind sein Leben lang fühlen muss, wenn seine eigene Mutter es nach der Geburt weggegeben hat. „Meine Mutter wollte mich nicht.“ Dies trifft zu bei Adoption, einem Pflegekind, sogar bei einer Leihmutterschaft.  Der eigene Kinderwunsch war so groß, dass er mir die Sicht auf das Wohl des Kindes verdeckt hat. Ich fühlte mich beschämt.

„Ist das Buch gut für mich?“ habe ich mich nach der Hälfte gefragt. „Was macht das Buch mit mir? Ohne das Buch würde mein Kopf diese Gedanken gar nicht kennen. Es erweckt neue Vorbehalte die ich noch nicht kannte und fegt Zweifel weg, die unüberwindbar schienen. Es findet Schmutz in Ecken, die ich schon als „sauber“ abgehakt hatte und mein Magen signalisiert mir, dass ich zum entknoten desselben doch noch einmal zu meiner Therapeutin muss.“ Ich fühlte mich verunsichert.

Völlig aufgelöst war ich nach einem Kapitel, in dem eine junge Mutter beschreibt, wie sie schließlich mit einer Eizellspende aus Spanien schwanger wurde. „Oh, Gott. Das haben wir ja noch gar nicht probiert.“ schoss es mir durch den Kopf. „Sollen wir diesen Schritt noch gehen? Wir wollen uns doch später nicht vorwerfen, dass wir nicht ALLES versucht haben. Oder? Oder haben wir es nicht in Betracht gezogen, weil hier unsere persönliche Grenze ist? Weil wir einfach keine Kraft mehr haben, durch die nächste Tortur zu schliddern?“ Ich fühlte, dass ich den Wunsch nach einem leiblichen Kind noch nicht loslassen kann.

Schließlich fiel mir auf wie unterschiedlich die Wünsche und Ängste von uns Kinderlosen sind. Eine Frau berichtet wie stark ihr Wunsch ist, eine Schwangerschaft zu durchleben, das Kind im Körper zu spüren. Dieser Gedanke ist mir völlig fremd und wird es auch bleiben. Warum sollte ich mich nach 15 Kilo mehr Gewicht und dem Geburtsschmerz sehnen? Auch hier im Blog finden sich so viele verschiedene Ansichten zu: Traditionell Chinesische Medizin, künstliche Befruchtung im Ausland, Rauchen und fliegen während der Warteschleife, Leihmutterschaft. Das finde ich toll und dazu möchte ich, Franka Fruchtig, heute das Wunderbare verkünden: Jede von Euch hat recht! Vor allem Recht auf eine eigene Meinung, ganz individuelle Gefühle und Ängste. Erika Berger hat einmal zum Thema Liebe gewienert: „Redet’s, redet’s, redet’s darüber.“ Das sollten wir hier zum Thema Kinderwunsch tun. Redet, schreibt, lest, diskutiert, ja streitet Euch sogar. Das ist eine Aufforderung! Tod dem Tabu.

P.S. Kennt ihr weitere Bücher zum Thema Kinderwunsch, die Euch bewegt haben? Ich würde mich freuen in den Kommentaren ein paar Lesetipps zu finden, damit nicht der Eindruck entsteht ich möchte für ein spezielles Buch Werbung machen.